Sozialer Wohnungsbau – ein Reizwort, welches man mit heruntergekommenen Plattenbauten aus den 1960er und 1970er Jahren verbindet. Verdichtete Bauweise, unnutzbares Abstandsgrün und wenig Wohnqualität. Restaurierte Altbauten aus der Jahrhundertwende bis zu den 1920er Jahren jedoch wecken Assoziationen an vornehme und entsprechend hochpreisige Wohnungen, an sogenannte 1A-Lagen und ein dementsprechendes Umfeld. Im Aachener Norden wird gerade ein Projekt fertiggestellt, das einen lehrt, umzudenken.
Bereits vor über drei Jahren haben wir in der zweiten Ausgabe der AQUIS CASA über die Umnutzung der ehemaligen Talbot-Fabrikantenvilla an der Jülicher Straße in Aachen berichtet. Schräg gegenüber sind nun die Arbeiten an der vormaligen Siedlung für die Talbot-Fabrikarbeiter in der Endphase angekommen. Im Jahr 1860 war die Produktion der 1838 von Johann Hugo Jacob Talbot und dem Brüsseler Kutschenfabrikanten Pierre Pauwls gegründeten Personen- und Güterwagenfabrik an die Jülicher Straße verlegt worden. Dort verfügte man über einen notwendigen Gleisanschluss und genügend Areal für eine weitere Ausdehnung. Durch Firmenzukäufe und die Entwicklung des „Selbstentladers“ mit weltweiter Vermarktung wuchs die Belegschaft stetig. Waren es 1900 noch 400 Mitarbeiter, stieg ihre Zahl in den 1920er Jahren auf das Dreifache. Das erforderte aber auch entsprechenden Wohnraum. Die damals bei Großunternehmen noch selbstverständliche Mitverantwortung für eine firmennahe Unterkunft in werkseigenen Wohnungssiedlungen mit Freiflächen zur Erholung veranlasste auch die Familie Talbot, ein entsprechendes Areal auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu kaufen, um dort ab 1922 eine Arbeitersiedlung zu errichten. Anders als vielleicht bei Bergarbeitersiedlungen aus dieser Zeit, deren Fassaden oft aus Ziegelsteinen bestand, legte man hier Wert auf ein „gehobenes“ Äußeres mit zeittypischen Stuckverzierungen und handwerklich aufwendigen Türarbeiten. Mag man diese Art des Vorläufers eines sozialen Wohnungsbaus auch mit dem Begriff soziale Kontrolle des Arbeitgebers über seine Angestellten negativ besetzen –schließlich verlor man mit dem Arbeitsplatz auch seine Wohnung- , so überwogen doch die Vorteile für die Arbeiter: Direkte Anbindung an den Arbeitsplatz, Grünanlagen mit ausreichend Licht und Luft, gemeinschaftliches Leben auch außerhalb des Arbeitsplatzes und somit der damals noch unbekannte Begriff des Wohlfühlcharakters.… zum Artikel