In Memoriam – CARL SCHNEIDERS


Bei meinem Vater musste immer alles ganz schlicht und einfach sein.“ Dieser Satz von Carl Schneiders’ Tochter Gabriele während unseres Rundgangs durch ihre Privatgalerie in der Aachener Innenstadt begleitet uns beim Betrachten jedes Bildes. Ein strukturierter Bildaufbau, klare geometrische Formen, grafische Flächen und schemenhafte Menschen sind immer wiederkehrende Elemente seiner Werke. In mehreren meterlangen Reihen stehen hintereinander geschichtet gerahmte Bilder. Dazwischen zahlreiche Mappen mit ungerahmten Arbeiten, alles fein säuberlich abgedeckt mit weißen Laken. Eine ebenfalls weiße Ledercouch mit einem Tisch voller sorgfältig zusammengestellter Ausstellungsfolder, Fotos und Veröffentlichungen über ihren Vater – alles hier strahlt diese Einfachheit und Schlichtheit aus. Rundum wird alles einfasst von Stellwänden mit exemplarischen Bildern in Holzrahmen ohne Profil, einfach glatt und schlicht weiß. „So sah er seine Bilder am liebsten gerahmt“ verrät seine Tochter, die hier den Nachlass ihres Vaters verwaltet.

Geboren wurde Carl Schneiders 1905 als eines von neun Kindern des sehr erfolgreichen Aachener Architekten (Carl)Albert Schneiders, welcher um 1900 in Aachen als Architekt, Bauherr und Unternehmer ganze Häuserzeilen errichtet hat, von denen einzelne Häuser noch erhalten und vielen bekannt sind, jedoch nur wenigen im Zusammenhang mit dem Namen Schneiders. Erst durch das vergangene Bauhaus-Jubiläumsjahr mit zahlreichen Erinnerungen an den ebenfalls gebürtigen Aachener Architekten Mies van der Rohe wurde eher beiläufig erwähnt, dass dieser –noch als Ludwig Mies- von 1904 bis 1905 als junger Mitarbeiter im Büro Schneiders angestellt war. Zunächst jedoch nur zur Erstellung der aufwändigen Zeichnungen für das Kaufhaus Tietz am Aachener Markt. Diesen Großauftrag hatte Albert Schneiders im Alter von nur 33 Jahren aufgrund seiner fachlichen Begabung für sich ergattern können. Dieser wiederum erkannte das Talent von Mies und ließ ihm beim zeitgleichen Auftrag für ein Gewerkschaftshaus in der Aachener Alexanderstraße dann auch maßgeblich am Entwurf mitarbeiten. Da Albert Schneiders beim Tod seines Vaters erst neun Jahre gewesen war, hatte sein Onkel damals die Kosten für seine weitere Ausbildung übernommen. Dessen eingedenk förderte er wiederum später in seinem Architekturbüro junge Talente. So übernahm er auch das Schulgeld für den Steinmetzsohn Ludwig Mies, damit dieser Abend- und Sonntagskurse an der Kunstgewerbeschule besuchen konnte. Aus dem Büro Schneiders erlangten später noch weitere Mitarbeiter Berühmtheit, wie zum Beispiel Emil Fahrenkamp (Shell-Haus, Berlin) und Josef Bachmann (Schirmfabrik Brauer, heute Ludwig-Forum, Aachen).


So wie Albert Schneiders begabten Nachwuchs in seinem Büro förderte, so unterstützte er auch seinen Sohn Carl, der schon als Kind ausschließlich Maler werden wollte. Kurz vor seinem Tod 1922 schickte er ihn daher als 17jährigen an das Bauhaus nach Weimar, wo er bis 1923 Schüler von Paul Klee und Wassily Kandinsky wurde. Nach einer kurzen Rückkehr nach Aachen ging er 1924 auf die Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst in Berlin als Meisterschüler von Karl Hofer. Zeitgleich unternahm er Studienreisen nach Paris und Südfrankreich. Bei mehreren Reisen an die Mosel , wo er gerne Anglermotive malte, lernte er auch seine Frau kennen, die ihm nach Berlin folgte. 1931 übernahm er ein Meisteratelier an der Preußischen Akademie der Künste, Berlin und nahm regelmäßig an Ausstellungen des Vereins Berliner Künstler und der Preußischen Akademie der Künste, Berlin teil. Nachdem er von letzterer 1935 den Großen Staatspreis für Maler bekommen hatte, folgte ein Stipendium an der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom. Im Jahr seiner Rückkehr 1937 beschlagnahmten die Nationalsozialisten auch ein Bild von Carl Schneiders. Im folgenden Zweiten Weltkrieg wurde er an die Ostfront abkommandiert, wo er in russische Gefangenschaft geriet. Nach seiner Entlassung kehrte er nach kurzem Aufenthalt in Trier 1948 nach Aachen zurück und war maßgeblich am Wiederaufbau der Werkkunstschule beteiligt, an welcher er auch Dozent für Malen und Zeichnen wurde.

In der Folgezeit nahm Schneiders regelmäßig an der Großen Münchner Kunstausstellung und an den Winterausstellungen der Bildenden Künstler von Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf teil. 1953 wurde er Mitglied der Neuen Münchener Künstlergenossenschaft, 1957 in den Vorstand und die Jury der Rheinischen Sezession, Düsseldorf gewählt. Im Jahr 1959 erhielt Carl Schneiders einen Lehrauftrag für Freihandzeichnen in der Fachabteilung Architektur (Reiffmuseum) an der Rheinisch-Westfälisch-Technischen Hochschule Aachen und wurde 1964 zum Honorarprofessor ernannt. Während dieser Jahre unternahm er zahlreiche Reisen an die niederländische Küste, wo eine Vielzahl seiner Bilder mit Schiffs-, Hafen- und Strandmotiven entstand. Die Liste seiner Einzel- und Gruppenausstellungen ist sehr lang, auch posthum. Derzeit ist seine Tochter Gabriele damit beschäftigt, ein detailliertes Werksverzeichnis zu erstellen und alle Arbeiten fotografieren und digitalisieren zu lassen. Was beim Betrachten der Bilder Carl Schneiders’ sofort auffällt, sind die strengen Bildkompositionen. Wenngleich er nicht dem Ansinnen seines Vaters entsprochen hat, dessen Architekturbüro weiterzuführen, so ist seine Malerei doch sehr architektonisch angelegt. Durch die Reduzierung aller dargestellten Dinge auf Flächen oder Linien entsteht ein geometrisches Gerüst, wodurch es wiederum ruhig und in sich geschlossen wirkt, obwohl die Motive oft angeschnitten sind. Sehr sparsame Schattierungen unterstreichen die Flächigkeit aller Darstellungen. Alles scheint in einer Bildparallele zu liegen, erst auf den zweiten Blick erschließt sich eine Bildtiefe. Ein sehr exakter Blick auf die wesentlichen Elemente und ihre gemalte Reduzierung bewirken diese Ruhe mit gleichzeitig hoher Ausdruckskraft. Die Farbigkeit von Flächen hat immer einen porösen, fast morbiden Charakter, da Schneiders seine Leinwände stets mit körnigem Lehm und stumpfer Kreide grundiert hat, und diese auch immer wieder durchscheinen. Es ist dieses Gleichgewicht von Formen und Farben, Linien und Flächen, schlichter Einfachheit und klarer Aussage, welches den Betrachter einfängt.

Carl Schneiders war nie auf der Suche nach spektakulären Motiven. Sie sind eher unaufgeregt. Allein die Komposition der Grundelemente und ihre Reduzierung auf farbige Flächen interessierten ihn. Dabei legte er keinen Wert auf die Erkennbarkeit von Materialien, ebenso wenig auf individuelle Züge von Menschen. Nicht auf die Exaktheit der Realität kam es ihm an, sondern nur auf die Vollkommenheit des (Ab)Bildes. Die Auswahl der Gegenstände scheint willkürlich zu sein, alles wird einem Stillleben gleich zu einer formalen Aussage meisterhaft zusammengestellt.

Dabei ist Schneiders aber stets ein gegenständlicher Maler gewesen. Er hat es verstanden, auch jenseits von Kubismus Bilder von geometrischer und grafischer Klarheit zu schaffen. Er hat bewiesen, dass die Nachkriegskunst mit ihrer Flucht in die informelle Malerei als Kontrapunkt zur Fotografie nicht als alleinige Lösung angesehen werden muss. Dies alles mit einer selbstverständlich anmutenden Gekonntheit. Meisterhaft, dabei schlicht und einfach – das war Carl Schneiders.

 

TEXT: Rainer Güntermann