Schatzkammern – Begehbare Schränke

Wer schon einmal in den Genuss eines begehbaren Kleiderschrankes gekommen ist, wird sich nur sehr schwerlich wieder an eine konventionelle Schranktürenparade gewöhnen können. Eine einzige Tür – und die ganze Welt der eigenen Garderobe strahlt quasi um die Wette und wartet auf ihren Einsatz. Begleiten Sie uns in verschiedene private Schatzkammern und lassen Sie sich inspirieren.

Schatzkammern gab es schon in der Antike. Hier waren es aber eher ganze Häuser, die wertvolle Gegenstände beherbergten. Aus ihrer lateinischen Bezeichnung Thesaurus entstand später das Wort Tresor. Bevor für jeweils bedeutende Schätze eigene Aufbewahrungsstätten wie Bibliotheken für Bücher oder Banken für Münzen geschaffen wurden, waren sie in entsprechenden Sicherungskammern in Festungen, Burgen und Palästen aufgehoben worden. Heute bringt man den Begriff Schatzkammer zumeist mit der Kirche in Verbindung. Aber neben den bekannten Domschatzkammern gibt es zum Beispiel auch eine Schatzkammer der Bibliothek Trier. In ihr wird der Codex Egberti aufgehoben, das älteste neutestamentarische Bilder-Evangeliar aus dem 10. Jahrhundert, der zum Weltgedächtnis der Unesco gehört. Bekannt ist auch das Grüne Gewölbe innerhalb der Staatlichen Kunstsammlung Dresden, welches eigentlich aus mehreren, miteinander verbundenen Gewölben besteht. August der Starke ließ es Anfang des 18. Jahrhunderts für seine wertvolle Raritätensammlung bauen. Eine weitere interessante Schatzkammer ist die Lübbecker Trese aus dem 13. Jahrhundert. Sie war über einer Bürgermeisterkapelle in der Marienkirche gelegen, war aber immer schon im weltlichen Besitz der Hansestadt. In ihr wurden wertvolle Schriftstücke, Silber und andere bedeutsame Gegenstände aufbewahrt.
Derart Wertvolles wird heute in den privaten Schatzkammern nicht mehr beherbergt – oder wer weiß? Dennoch kann eine gekonnt sortierte Kleiderkammer mit ihrer streng gegliederten horizontalen und vertikalen Reihung eine gewisse Ehrfurcht erzeugen. Dazu müssen die einzelnen Textilien gar nicht monochrom angeordnet sein, exakt gefaltet und gestapelt reicht vollkommen, um diesen wertvollen Eindruck zu erreichen. Beim Stapeln sind wir schon mitten in der Thematik, denn je mehr horizontale Trennungen in einem offenen Regalsystem vorgesehen werden, desto weniger schwer lasten die einzelnen Stapel auf dem untersten Kleidungsstück, und desto mehr „Rubriken“ lassen sich einordnen und dementsprechend leichter finden: Lange Ärmel, kurze Ärmel, V-Ausschnitt, Rundhals, Wolle, Baumwolle, Leinen, Seide und der einzelnen Nuancen mehr. Viele klassische Hilfsmittel der Aufbewahrung sind aus der Mode gekommen, obwohl ihr Nutzen nach wie vor unerreicht ist. Spannbügel für Röcke und Klemmbügel für Hosen sind nicht oldschool, sondern verhindern einfach nur lästige Falten, während nebeneinander zu Schnecken gerollte Krawatten übersichtlicher sind, als über- und untereinander baumelnde Binder. Der weibliche Werkzeugkoffer, die Handtasche, macht sich offen zur Parade aufgestellt zwar optisch gut, auf Dauer leidet aber die Optik durch Verbleichen und Verstauben. Selten benutzte, vielleicht gerade deswegen hochwertige Stücke, freuen sich innen über ein lockeres Ausstopfen und außen über einen Schutz in Form einer textilen Hülle.
Bei der Beleuchtung nicht nur einer Kleiderkammer, sondern aller begehbaren Schränke gilt: Die Beleuchtung sollte den Inhalt der Regale ausleuchten und nicht das Haupthaar der Hausdame oder des Hausherrn ansengen. Eine sorgfältig geplante Beleuchtung ist daher auch hier angesagt. Komfortabel ist in diesem Zusammenhang auch ein Bewegungssensor, der bei Öffnen der Tür automatisch den Schrankraum ausleuchtet. Naturgemäß ist der Platz in einem begehbaren Kleiderschrank oft sehr begrenzt. Dennoch ist irgendeine Art von Ablagemöglichkeit wichtig. Dies können unter einzelnen Regalböden herausziehbare Flächen sein oder aber rollbare Tischchen. Ein weiterer Bequemlichkeitsaspekt ist die Beschaffenheit des Bodens. Ungeachtet der Bodenbeschaffenheit des angrenzenden Raumes und auch ungeachtet einer eventuell vorhandenen Fußbodenheizung –welche auch viel Staub aufwirbelt- ist es immer ratsam, eine Kleiderkammer mit einem hautschmeichelnden Teppich oder Teppichboden auszustatten, da man sich hier –wenn auch ungewollt- oft barfuß und länger als vorgesehen aufhält, Sie etwa nicht?
Das Aufbewahrungssystem in einem begehbaren Schrank muss nicht viel höher sein, als man mit ausgestrecktem Arm erreichen kann. Aus zumeist eingeschränkten Platzgründen ist der Einsatz von Steighilfen, geschweige denn Leitern, nicht alltagstauglich. Daher kann die Höhe dieser Räume gegebenenfalls reduziert werden und der Restraum darüber gesondert genutzt werden, quasi als Speicher im Zimmer. Sein Zugang zur Unterbringung von sehr selten genutzten Artikeln –Weihnachtsdekoration, Aktenaufbewahrung und dergleichen- kann dann über eine Leiter und extra Türen oder Klappen erfolgen.

Als passionierter, oder besser gesagt, hysterischer Sammler von allem Schönen und Ausgefallenem habe ich großes Verständnis für „Kollegen“, die ihre jeweiligen Kollektionen ebenfalls in einer begehbaren Schatzkammer aufbewahren und auf diesem Wege zur Schau stellen, statt sie in enge Vitrinen zu stopfen. Eine Sammlung von farbigen Glasgegenständen –Muranoschalen, Veninivasen etc.- vor einer indirekt beleuchteten Milchglaswand lassen die Preziosen umso wertvoller erscheinen. Über Jahre zusammengetragener (Mode-)Schmuck aus einzelnen Epochen, der auf einer samtbezogenen Paneele vertikal präsentiert wird, wird in seiner Gesamtheit zur Augenweide. Und selbst die inzwischen oft zu wertvollen Objekten hochgehypten Sneakermodelle einiger Designer erhalten ein zusätzliches Upgrading durch ein Neben- und Übereinanderstapeln in kleinen Glaskästen. Miniaquarien sind für lebende Fische eigentlich sowieso eher ungeeignet… Es soll ja Freaks geben, die zwischen Garage und Schlafzimmer eine Glaswand gezogen haben, um ihren Oldtimer stets sichten zu können. Das ist sicherlich über das Ziel hinausgeschossen. Aber eine begehbare Schatzkammer wie oben geschildert durch eine Glaswand oder Glastür von der Umgebung abzutrennen, um die Sammlung(en) nicht unbeachtet im Dunkeln aufzubewahren, kann eine reizvolle Möglichkeit sein. Lichttechnisch gekonnt in Szene gesetzt wirkt sie auf den ersten Blick wie ein riesiges 3D-Bild.

Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts, als Kühlschränke in den Wohnungen noch keine Selbstverständlichkeit waren, gab es meistens neben der Küche eine weniger als ein Quadratmeter große Speisekammer, in der alle verderblichen Lebensmittel gelagert wurden.


Durch die Markteroberung der elektrischen Kühlgeräte, später der Tiefkühltruhen und nicht zuletzt auch durch die fast überwiegend fest verpackten und stets im Supermarkt verfügbaren Lebensmittel sind diese Speisekammern fast komplett verschwunden.

Schade eigentlich. Denn diese kleinen, aber begehbaren Nahrungsmittelschränke sind keineswegs unnötige Raumverschwendung. Durch ihren direkten Anschluss an die Küche ersparen sie oft den Weg in den Keller oder die Garage. Denn wer wieder Gelees und Marmeladen, Eingewecktes und Fermentiertes selbst herstellt, wer nicht nur das Alibi-Obst in der Designerschale auf dem Küchentresen stehen hat, sondern die frische Vielfalt bevorratet, wer nicht auf Tauchgang in den Eckschrank einer Einbauküche gehen will und wer den Wein zum Trinken und nicht zum langen Lagern kauft – für sie alle kann eine begehbare Speisekammer der wahre Luxus sein. Und passionierte Hobby-Köche und -Köchinnen betrachten ihre Delikatessen, die sie vielleicht aus dem letzten Urlaub mitgebracht haben, sehr wohl als Schätze, die irgendwann auf ihren Einsatz beim Essen mit Freunden an der langen Tafel warten. Solange müssen sie ihr Dasein auch nicht im dunklen Keller oder der kalten Garage fristen, sondern sie dürfen wohlfeil nebeneinander im offenen Regal stehen und täglich ins Auge fallen. Denn irgendwer schaut immer mal rein, in die Schatzkammer.

TEXT: Rainer Güntermann
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