HAUS MUSEUM VITRINEN UND REGALE

Die einen richten sich ein nach der Devise „Less is more“ des gebürtigen Aachener Architekten Mies van der Rohe (welcher in Wirklichkeit gar nicht der Schöpfer dieses Ausspruchs war, sondern ihn nur für seine Vorstellungen adaptiert hat), andere umgeben sich gern mit vielen schönen Dingen, frei nach dem Motto „Weniger ist immer auch weniger“. Sie sammeln, oft ihr Leben lang. Manche speziell fokussiert auf eine einzige Leidenschaft, manche gleich mehrgleisig und immer wieder bereit für neue Kollektionen. Diesen Sammlungsbegeisterten widmen wir diesen Bericht.

Bücher, Musik- oder Datenträger sollten präsentiert werden

Nach der offiziellen Definition ist eine Vitrine ein Möbel oder Behältnis mit mindestens einseitiger Verglasung, also einer vertikalen oder schrägen Glasscheibe oder einer horizontalen Glasabdeckung. Diese dienen jeweils gleich mehreren Zwecken: Zunächst schützen sie vor zu großen Klima­schwank- ungen, Feuchtigkeit, Staub, übermäßigem Lichteinfall, Zugwind und auch Diebstahl. Ganz pragmatisch betrachtet behält die sammelnde Person aber auch leichter die Übersicht über ihre Kollektion(en). Ähnlich einem öffentlichen Museum wird sie selbst zum Aussteller, zum Präsentierenden. Und wie bei einer flachen Wandvitrine mit offiziellen Aushängen und amtlichen Bekanntmachungen in einer Behörde möchte sie die Aufmerksamkeit der Besucher auf die Exponate lenken. Daher ist das deutsche Synonym „Schaukasten“ eigentlich viel treffender geeignet, die private Zur-Schau-Stellung zu umschreiben. Der Sammler möchte seine gesamten Trophäen, zu deren jeweiligen Anschaffung er zumeist auch eine Anekdote parat hat, seinen Gästen zeigen und somit seine Freude darüber teilen (Der Autor spricht aus eigener Erfahrung). Bei Regalen oder besser Regalsystemen sieht das ganze oft bei weitem schlichter aus. Hier geht es den Umständen entsprechend gedrängter zu. Bücher, Musik- oder Datenträger müssen nach unterschiedlichen Kriterien möglichst effektiv und platzsparend untergebracht oder auch präsentiert werden. Auflockerungen durch andere Objekte sind meistens nur am Anfang einer Sammelleidenschaft möglich. Daher verschwinden rein offene Regale ohne geschlossene Elemente oft gänzlich in der Wahrnehmung als Möbel. Vitrinen haben da ein ganz anderes Standing, sie zeigen sich auch selbst als Einrichtungsobjekt. Wie immer gibt es auch hier Ausnahmen, aber sogenannte „dekorative“ Aufbewahrungsregale sind selten wirklich sehenswert, Stichwort „Gewürzregal“. Der Klassiker unter den Regalen ist wohl das String-Bücherregalsystem. Ein schwedischer Verlag hatte 1949 einen Wettbewerb für ein erweiterbares Bücherregal ausgeschrieben, welchen Nisse Strinning zusammen mit seiner Frau Kajsa gewann. Basierend auf einem zuvor entwickelten Abtropfregal für die Küche bilden sogenannte Metallleitern zur Wandmontage mit ihren gleichmäßig angeordneten Sprossen flexible Einhängemöglichkeiten für furnierte oder lackierte Holzbretter. Schon 1952 kamen dann Schrankmodule hinzu. Diese hatten Schubladen, Klapp- oder Glasschiebetüren, darüber hinaus Einhängetischplatten, Zeitschriftenfächer und schräge Leseborde. Dieses System bildete die Grundlage für gefühlt unzählige Varianten bis in die heutige Zeit. Viele sind eigentlich nur Plagiate, wenige wirklich durchdachte Weiterentwicklungen.

 

Viele Entwürfe von damals genießen heute Kultstatus

So das 1957 von Franco Albini entworfene Bücherregal Libreria. Dessen seitliche Streben wurden nicht an der Wand befestigt, sondern zwischen Boden und Decke eingespannt. Seinen Durchbruch erlangte es 1958 durch seinen Einsatz in der Pariser Dependance vom italienischen Büromaschinen-Hersteller Olivetti. Eine weitere Variante wurde 1960 unter der Bezeichnung Regalsystem 606 von Dieter Rams entworfen, welcher zu dieser Zeit als Architekt und Innenarchitekt, ab 1961 dann als Leiter der Abteilung Formgebung beim Elektrogrätehersteller Braun arbeitete. Dessen Entwürfe für diesen Konzern haben bis heute Kultstatus. Sein Regal basierte wieder auf Metallstreben zur Wandmontage, welche aber gleichmäßig angeordnete Schlitze hatten, in die man dann mittels Metallträgern einzelne offene oder geschlossene Elemente einhängen konnte. Bei den Platten waren dazu seitlich jeweils Aufkantungen angebracht, die zugleich gegebenenfalls Halt für Bücher oder dergleichen boten.
Das heute meistverbreitete Regalsystem bei Liebhabern von Designmöbeln ist das 1962 vom Schweizer Architekten Fritz Haller konzipierte Bürosystem USM-Haller. Seine Grundelemente eines verchromten Stahlgelenkes mit allseitigen Anschlussmöglichkeiten und ebenfalls verchromten Streben, die als horizontale und vertikale Verbindungen sowohl offene Fächer, als auch geschlossene Schrankelemente aus lackierten Stahlplatten zulassen, können nahezu endlos in beide Richtungen erweitert werden. Durch die immer größer gewordene Farbpalette der Lackierung hat dieses ursprünglich für Büros entworfene Regalsystem inzwischen auch Einzug in den privaten Wohnbereich genommen, wodurch aber auch leicht ein optischer Sättigungseffekt entstehen kann. Ihren großen Auftritt haben USM-Möbel vor gänzlich andersartigen Hintergründen wie rohen Wandoberflächen und in untypischer Umgebung wie neben Vintage-Holzmöbeln.

Weg vom Minimalismus und dem Credo „Less is more“

Zwei Regale der „Neuzeit“ haben ebenfalls das Zeug, zu echten Klassikern zu werden. Da ist zum einen das bereits 1974 von Vico Magistretti entworfene Regal Nuvola Rossa aus Buchenholz. In der Form einer Stehleiter ähnelnd kann es auch genauso zusammengeklappt werden. Bis heute kommen immer wieder mehr oder weniger gelungene Abwandlungen dieses offenen Regals auf den Markt. Der etwas ungewöhnliche Name „Rote Wolke“ bezieht sich auf einen Sioux-Häuptling, da das schnell auf- und abgebaute Regal den Designer an Indianer-Wigwams erinnerte. Der zweite Entwurf stammt ebenfalls von einem Italiener, die seit den 1970er Jahren immer mehr den Designmarkt mit ihren oft extrem innovativen Ideen eroberten. Ettore Sottsass, Mitbegründer der 1980 in Mailand gegründeten Bewegung und Firma „Memphis“, wollte weg vom Minimalismus des „Less is more“, weg vom Credo „Form follows Function“. Die Möbel sollten einfach nur Spaß machen. Weniger Funktion, mehr Farbe waren nun die Maxime. Sein 1981 entworfenes Regal Carlton aus Holz mit buntem Kunststofflaminat steht wie kein anderes Möbel für den Zeitgeist dieser Design-Gruppe, zu der unter anderen auch Matteo Thun, Michael Graves und Hans Hollein gehörten.
Auf dem Gebiet der Vitrinen ist zunächst ein bis heute zeitlos modernes Exemplar zu nennen, welches der Ungarn-Österreicher Marcel Breuer 1925 für das Weimarer Bauhaus entworfen hat, wo er vorher seine Ausbildung beendet hatte. Da sie eigentlich für den Eigengebrauch ebendort gedacht war, hat diese Vitrine auch keinen eigenen Namen, sondern wird schlicht unter Bauhaus-Vitrine geführt. Zwei übereinander um 90 Grad verschobene und vierseitig verglaste Kuben mit leicht rechteckigem Grundriss sind zwischen vier Holzpfosten mit einer gleich dem oberen Kubus versetzten Sockelplatte fest eingebunden. Aus dem Entstehungsjahr dieser doppelstöckigen Vitrine datiert auch der später als „Wassily-Chair“ berühmt gewordene Stahlrohrsessel von Marcel Breuer.
In starkem Kontrast dazu standen in dieser Zeit die Vitrinenaufsätze von sogenannten Anrichten. Sie beide bildeten zumeist mit Tisch und Stühlen eine formale Einheit. Die Aufsätze bestanden oft aus zwei seitlichen Vitrinen, oft dreiseitig verglast, mit dazwischen eingefasstem Spiegel, zuweilen noch mit vorgelagertem Karaffenpodest. Sie dienten der Aufbewahrung von Trinkgläsern oder dekorativem Porzellan.

Neue skandinavische Leichtigkeit in allen Dingen des täglichen Lebens

Einige Exemplare der 1920er und 1930er Jahre mit zum Teil aufwändigen Furnieren und geradliniger Formgebung können sich heutzutage aber gut auch in einer modernen Einrichtung behaupten. Eine neue Blüte erlangten Vitrinen in der Nachkriegszeit. Inspiriert von skandinavischer Leichtigkeit und einer neuen Farbigkeit in allen Dingen des täglichen Lebens wurden sie Bestandteil des modernen Heims. Glasschiebetüren, auch gerne in schräger Ausführung, wurden zum Renner und ließen den noch recht spärlichen neuen Hausrat gebührend zur Geltung kommen. Einen Klassiker der neueren Zeit entwickelte 1975 das Gütersloher Unternehmen Flötotto mit seinem Profil-System. Quadratische Stäbe aus massivem Buchenholz in drei verschiedenen Höhen können durch ebensolche Querstreben in zwei Breiten und zwei Tiefen beliebig nach Wunsch zu offenen Regalen, geschlossenen Containern oder fünfseitig verglasten Vitrinen zusammengefügt werden. Bekannt geworden war die Firma für ihre Schulmöbel, insbesondere die Stühle mit ergonomisch geformten Holzfurnier-Sitzschalen. Die mitwachsenden Möbel aus dem Profilsystem überlebten zwei Insolvenzen und sind nach wie vor erhältlich.
Aber auch die typischen Wohnzimmer-Schrankwände mit all ihren formalen Entgleisungen während der letzten Jahrzehnte sind endlich flexiblen Wandmöbelsystemen gewichen, deren Bestückung mit offenen und geschlossenen Elementen, Regalböden und Leseablagen, Schubladen und Vitrinen jeweils individuell zusammengestellt werden können. Wo man früher fast von massiven Schrankmauern erschlagen wurde, begegnet einem nun eine spürbare Leichtigkeit. Mit der Entwicklung immer kleiner dimensionierter Beleuchtungsartikel sind Vitrinen aller Art inzwischen auch zu illuminierten Hinguckern geworden, die auch Nicht-Sammler inspirieren, und es soll schon Leute geben, die nur aufgrund der Anschaffung oder Überlassung einer ausgefallenen Vitrine überhaupt erst eine Sammelleidenschaft entwickelt haben. Diesen Jägern und Sammlern wünschen wir auch weiterhin viele Trophäen für ihre private Kollektion.

 

TEXT: Rainer Güntermann

Fotos: String Furniture | www.string.se, „Bauhaus Vitrine“ S40 | www.tecta.de, Kettnaker,  WK Wohnen, „Infinito“ von Franco Albini | www.cassina.com, Nuvola Rossa | cassina, www.usm.com, WK Wohnen