BÜCHEL-MUSEUM Rote Burg in Aachen

 

Bei jedem Hotelneubau in Aachen brandet umgehend die Diskussion auf, ob die Stadt denn noch eines brauche, schließlich haben mehrere Herbergsbetriebe mit den Übernachtungszahlen zu kämpfen. Die Frage, ob Aachen denn auch noch ein neues Museum brauche, würde wohl angesichts der nicht gerade berauschenden Besucherzahlen niemand direkt bejahen. Und doch ist soeben eines eröffnet worden. Ohne Aufschrei. Ohne Unkenrufe. Weil: Es ist ein Privatmuseum, mit privatem Geld von einem Privatmann gestemmt. Klingt interessant – ist es auch!

Jahrzehnte ist es her, dass ich zuletzt in diesem Haus am Aachener Büchel gewesen bin, nämlich abends auf ein paar Bierchen beim Charly in seinem legendären „Leierkasten“, bei Liedermacher-Musik vom Plattenspieler, schummrigen Kerzenlicht und inmitten unzähliger Kuriositäten von hübsch bis hässlich. Jetzt, es ist wieder Abend, stehe ich in einem dank neuester LED-Technik taghell ausgeleuchteten, hohen und weiten Raum, in dem thematisch geordnet Originalwerke von Emil Orlik, einem Künstler des beginnenden 20.Jahrhunderts hängen. Auch die wenigen antiken Möbelstücke sind akzentuiert positioniert, wodurch sie ihre Einzigartigkeit bestens zur Geltung bringen können. Eigentümer und Initiator dieses neuen Museums ist der Aachener Psychotherapeut Jörg von der Laage. Wenn andere Siebzigjährige ihr erworbenes Vermögen vornehmlich für eigenen Luxus ausgeben, geht er als Kunstsammler einen anderen Weg und kauft eine geschichtsträchtige Immobilie inmitten der Aachener Altstadt, um seine über zwei Jahrzehnte akribisch zusammengetragene Sammlung der Öffentlichkeit zu präsentieren. Von der Laage befindet sich damit –wenngleich auch in ganz anderer Dimension- in der Tradition des Aachener Kunstsammlerehepaares Irene und Peter Ludwig. Mit der nun präsentierten Sammlung mit Arbeiten von Emil Orlik schließt von der Laage auch zeitlich und thematisch die Lücke zwischen dem Suermondt-Ludwig-Museum und dem Ludwig-Forum in Aachen. Nachdem Jörg von der Laage an der RWTH Aachen Maschinenbau und Psychologie studiert hatte, machte er in München eine Ausbildung zum Psychotherapeuten. In dieser Zeit begann er, sich für Kunst zu interessierten, bekam Kontakt zu jungen Künstlern und Galeristen und verkaufte für sie deren Werke. Dabei ließ er sich in Naturalien, sprich Bildern, bezahlen.

Zunächst sammelte er Werke der Moderne. Nach dem Verkauf dieser Sammlung widmete er sich mit dem Erlöß daraus der klassischen Moderne. Inzwischen als Psychotherapeut in Aachen selbständig kam er vor gut 20 Jahren mit Arbeiten des Künstlers Emil Orlik in Berührung, die ihn derart faszinierten, dass er wiederum seine Sammlung verkaufte, um sich mit dem neuerlichen Erlöß ganz dem Ankauf von Orliks Werken zu verschreiben. Lange keimte der Gedanke in Jörg von der Laage, einmal alles zusammen präsentieren zu können. Mit dem Erwerb der Immobilie des ehemaligen „Charly’s Leierkasten“, in dem auch er des Öfteren bei einem Bierchen gesessen hatte, begann der Traum Wirklichkeit zu werden. Mehrere gastronomische Nutzungen in der Vergangenheit hatten schon diverse Umbauarbeiten verursacht, somit mussten keine großen baulichen Veränderungen mehr erfolgen. In Absprache mit dem Denkmalamt wurden aber einzelne Elemente wieder hervorgehoben, wie zum Beispiel die Einheitlichkeit der Fassade. Während durch die Vorbesitzer bereits die Erdgeschossfenster bis zum Boden aufgebrochen worden waren, hatte man die verbliebenen Blausteinelemente außen nur mit einem Farbputz verdeckt. Da nun eine Ergänzung und Vervollständigung mit neuen Platten aber zu unruhig gewesen wäre, entschied man sich für einen einheitlichen Granitputz im Erdgeschoss, der durch einen Anschliff der Optik und dem Charakter von Naturblaustein sehr nahe kommt. Im Innern wurden sämtliche Wände in Weiß gehalten, auch um die einzelnen aktuellen und ehemaligen Strukturen zu verstärken. Darüber hinaus wurden der Holzfußboden im Erdgeschoss und auch die alten Raerener Bodenfliesen im Kellergewölbe sorgsam restauriert. Der Gewölbekeller ist auch der älteste Teil des Hauses. Er datiert von 1450, als das Haus mit Namen Rote Burg erbaut wurde. Beim Stadtbrand am 22. April 1665 blieb er aufgrund seines massiven Mauergewölbes fast unversehrt, das Holzfachwerkhaus darüber jedoch wurde wie zahlreiche andere Bauten vom Feuer komplett zerstört. Beim Wiederaufbau aus Steinfachwerk wurden zunächst 2 Vollgeschosse über dem alten Keller hochgezogen. Erst im 19. Jahrhundert wird ein weiteres Stockwerk im Stil der bestehenden Fassade aufgesetzt, und das Haus erhält die noch heute sichtbare Struktur. Im 2. Weltkrieg wurde das Haus komplett ausgebombt, die Fassade und der Gewölbekeller aber überstanden auch dieses Inferno relativ unbeschadet. Nach dem Wiederaufbau erlebte die Rote Burg die meisten Umbauten erst ab den 1980er Jahren. Das kleine Zwischengeschoss über dem Erdgeschoss wurde entfernt, der Hofbereich über dem Keller eingeschossig überbaut und die Fenster zum Büchel bis zum Boden vergrößert. In dieser Form wird es nun im Kellergewölbe und im Erdgeschoss als Rote Burg – Büchel Museum genutzt. Ein inzwischen fast 30 Mitglieder umfassender Förderverein soll neben Eintrittsgeldern die wirtschaftliche Existenz sichern. Im Gewölbekeller mit Bewirtungstheke sind Wechselausstellungen, Lesungen, Vorträge und auch Musikaufführungen geplant, das Erdgeschoss beherbergt auf Dauer die umfangreiche Emil Orlik – Ausstellung. Zur Museumseröffnung jedoch wird auch der Keller zur Präsentation der rund 180 Exponate hinzugezogen. Emil Orlik – die Arbeiten dieses Künstlers zogen Jörg von der Laage vom ersten Blick an in den Bann. Voller Leidenschaft begibt er sich auf die Suche nach weiteren Werken. Es gelang ihm, auf Auktionen, Kunstmessen und Märkten einzelne Objekte aufzutreiben, die erst jetzt in dieser umfassenden Ausstellung wieder zusammengefügt werden. So kann man neben dem gezeichneten Entwurf für einen Umschlagdeckel das endgültige Buch bewundern, neben farbigen Radierungen die jeweils einfarbigen Probedrucke betrachten. Orlik, 1870 in Prag geboren, kam nach seinem Abitur 1889 zum Studium der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste für fünf Jahre nach München. Nebenbei arbeitete er auch an der Akademischen Kupferstechschule. Nach einer kurzen Rückkehr nach Prag zog er 1896 erneut nach München und entwarf ein Jahr später für seinen neugewonnenen Freund Gerhard Hauptmann das Plakat für dessen Sozialdrama „Die Weber“. Gleichzeitig wurde er Mitarbeiter der Zeitschrift „Jugend“ und ab 1899 auch Mitglied der Wiener Jugendstilbewegung „Secession“. Auf der Pariser Weltausstellung im selben Jahr begegneten ihm erstmals japanische Holzschnitte, die ihn so faszinierten, dass er in den beiden Folgejahren eine Reise nach Japan antrat, um sich dort im Holzschnitt weiter ausbilden zu lassen. Er lernte, wieder alle drei Schritte selbst durchzuführen: die Zeichnung, den Schnitt und den Druck. Den Holzschnitt perfektionierte er dabei derart meisterhaft, dass er haarfeine Druckstege herausarbeiten konnte. Gerade nach Wien übergesiedelt bekam er 1904 einen Ruf als Professor an die Staatliche Lehranstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums. Bereits ein Jahr später wurde er Vorstandsmitglied im Deutschen Künstlerbund, im Jahr darauf Mitglied der Berliner „Secession“. Zu seinen Schülern zählte unter Anderen auch George Grosz. Nach seinem Umzug nach Berlin, wo er bis zu seinem Tode 1932 lebte und arbeitete, wurde er zum bekanntesten und gefragtesten Portraitisten seiner Zeit, der zahlreiche Größen aus Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft künstlerisch verewigte.


So portraitierte er in seinem Todesjahr auch den gebürtigen Aachener Architekten Mies van der Rohe in Berlin, wo dieser in einem Atelier von Orlik und dessen Schülern selbst die Kunst der Holzschnitte probierte. Gleichzeitig entwarf er für Max Reinhardt mehrere Bühnenbild- und Kostümentwürfe. 1912 unternahm er eine zweite Ostasienreise, die ihn in viele Länder führte und ihn selbst zu einem Sammler ostasiatischer Kunst machte. Aus all diesen Schaffensperioden sind im neuen Büchelmuseum Rote Burg Arbeiten von Emil Orlik zu sehen. Darunter auch ein ungewöhnliches Ausstellungsstück: Seine Original-Totenmaske, die ihm vom damals noch relativ unbekannten Bildhauer Arno Breker abgenommen wurde, bevor dieser durch seine spätere Nähe zu nationalsozialistischem Kunstverständnis in Verruf geriet. Auch hier kann man eine ungewollte Parallele zum Aachener Kunstsammler Peter Ludwig ziehen, welcher sich noch in den 1980er Jahren von Breker mit einer überdimensionalen Büste verewigen ließ. Im Gegensatz zu Ludwigs Büste, die nicht mit ins Kölner Ludwig-Museum einziehen durfte, steht Orliks Totenmaske friedlich inmitten seiner bewundernswerten Arbeiten, die zum Teil in Originalrahmen aus jener Zeit ausgestellt sind, sorgfältig umsäumt von ebenfalls sehenswerten Möbelstücken aus verschiedenen Epochen. Wenngleich die Ausstellung wohlgeordnet und übersichtlich gestaltet ist, hätte sicherlich auch der 1989 verstorbene „chaotische“ Charly seine Freude an der jetzigen Nutzung seines „Leierkasten“. Sein Nachfolger Jörg von der Laage jedenfalls ist für diese Eigeninitiative zu beglückwünschen und es ist ihm Glück zu wünschen. Im Anschluss an eine private Führung durch die Orlik-Ausstellung, hatten wir die Möglichkeit Jörg Vonderlaage einige Fragen zu stellen.

Die Besucherzahlen der öffentlichen Kunstmuseen in Aachen lassen seit Jahren zu Wünschen übrig. Was treibt eine Privatperson dazu, ungeachtet dessen ein eigenes Museum zu eröffnen? Zunächst einmal der Kunst selber zu liebe, da ich meine, dass diese Ausstellung einen besonderen Blick auf den bedeutenden Künstler Emil Orlik zeigt. In vielen Zustandsdrucken kann sehr eindrucksvoll die Entstehung seiner Arbeiten verdeutlicht werden. Außerdem möchte ich eine andere Art von Museum für die Kunstfreunde im Dreiländereck präsentieren. Im historischen Kellergewölbe ist zwischen der Kunst ein Museums-Bistro entstanden, in dem man bei Kaffee und Kuchen sich Zeit für die Kunst nehmen kann und über die Arbeiten diskutieren kann.

Haben Sie die geschichtsträchtige Immobilie explizit für das Museum erworben, oder war für Sie auch eine andere Nutzung vorstellbar?

Ja, das historische Haus wurde eigens zum Zweck des Museums ausgewählt. Der geschichtsträchtige Rahmen und die Möglichkeit, dort Ausstellungsräume mit einer Kombination von historischem Hintergrund und moderner Gestaltung umsetzen zu können, sowie die Lage des Hauses schienen mir bestens zu der Schaffung eines neuen Museums in Aachen geeignet.

Gab es während der Umbauphase unliebsame Überraschungen, die Sie das Projekt in Frage stellen ließen?

Wenn man in solch alter Bausubstanz restauriert, renoviert und gestaltet gibt es mehrfach unliebsame Überraschungen. Das ist normal. Das Gesamtkonzept wurde aber nie in Frage gestellt.

Ist es nicht lukrativer, reine Verkaufsausstellungen zu präsentieren im Stil einer Kunstgalerie?

Sicherlich wäre eine Verkaufsausstellung in dieser Lokalität lukrativer gewesen. Das Ziel aber war es, für Aachen ein neuartiges Museum zu schaffen. Der Gewinn fließt ausschließlich dem Förderverein zu, der hoffentlich bald so stark ist, dass wir damit die laufenden Kosten bestreiten können. Dazu benötigen wir noch viele neue Fördermitglieder und Spenden.

Gibt es irgendeine Parallele zwischen Ihrem Beruf des Psychotherapeuten und dem eines Kunstsammlers beziehungsweise Museumsinhabers?

Die Betrachtung von Kunstwerken und das sich in diese Materie Hineinversetzen, kann einen neuen Zugang zu sich selber und Nähe zum Kunstwerk bringen. Besonders die Kunst von Orlik macht einen hohen Grad von psychologischer Deutung und Wirkung möglich. Er zeichnet die Menschen auf seinen Bildern schlicht und natürlich und ermöglicht damit die Nähe zum Betrachter.

Wie sind Sie zu Emil Orlik, dem Künstler der Eröffnungsausstellung, gekommen?

Ein Bild, „Der erste Schnee“, faszinierte mich seit dem ersten Blick. Eine Mutter stapft mit einem Kind durch frischen Schnee. Mit einer Aquatintaplatte und einer Radierplatte schafft Orlik eine Perspektive und Tiefenwirkung, die einmalig ist. Die Stellen für den Schnee auf dem Boden und auf den Bäumen wurde frei gelegt, so dass das Weiß des Papiers als Schnee wirken kann.

Sie haben seit 20 Jahren Werke dieses Künstlers gesammelt. Können Sie sich vorstellen, dass Sie sich mit ähnlicher Leidenschaft noch einem anderen Künstler oder einer Künstlerin widmen?

Viele Künstler, besonders der klassischen Moderne faszinieren mich auch weiterhin. Nun steht aber nicht mehr das Sammeln im Vordergrund, sondern die Gestaltung des Museums mit späteren Sonderausstellungen in den beiden Gewölben, mit einem Programm mit Veranstaltungen und dem Wunsch, viele private Sammler zu motivieren, ihre Schätze der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Wie waren die Resonanzen auf das zweitägige Pre-Opening während der Aachener Kunstroute im September?

Die Resonanz der Kunstroute Ende September 2018 war überwältigend. An dem Wochenende hatten wir 744 Besucher. Das zeigt ein großes Interesse für das neue Museum. Die Kunstfreunde fanden sowohl die Ausstellung als auch die Gestaltung der Räume sehr überzeugend. Besonders die Möglichkeit, zwischen den ausgestellten Bildern in einem Bistro mit Kaffee und Kuchen zur Ruhe zu kommen und dabei die Kunst betrachten zu können, fanden die Besucher einmalig.

Wird es auch einen Katalog oder ein Werksverzeichnis zur Dauerausstellung Emil Orliks geben?

Ein Katalog ist geplant, wird aber noch eine Weile auf sich warten lassen. In diesem Buch sollen alle Arbeiten abgebildet werden und die Lebensgeschichte des Künstlers im Spiegel seiner Arbeiten erzählt werden.

Wie sehen Ihre Zukunftspläne bezüglich der Aktivitäten im Museum aus?

Zunächst bleibt diese Ausstellung einige Monate erhalten. Dann soll im Erdgeschoss mit Orlik eine Dauerausstellung bestehen bleiben und in den beiden Kellergewölben sollen Wechselausstellungen gezeigt werden. Das große Gewölbe soll dabei zusätzlich zu den Sonderveranstaltungen mit Lesungen und musikalischen Aufführungen genutzt werden.

Vielen Dank für die interessanten Einblicke!

TEXT: Rainer Güntermann
FOTOS: Rainer Güntermann