BÜHNE FREI! SCHRIT_TMACHER-FESTIVAL in der alten STRANG – EISENFABRIK

Strang Gebäude

Zur Zeit läuft es wieder, das SCHRIT_TMACHER-FESTIVAL in der alten STRANG – EISENFABRIK in Aachen–Rothe Erde. Noch bis Ende März dient die lange, ehemalige Fabrikationshalle als „Ambience Brut“ für internationale Tanz-Kompanien. Der teMporäre Bühnenaufbau wird durch die das Industriedenkmal eigentlich nutzende Firma ARTEC errichtet. Wir waren vor Ort und haben die besondere Atmosphäre erleben dürfen.

Bühne

Strang – war der Name bis vor einigen Jahren noch eher eine Drohung für Falschparker in Aachen, so ist er seit ebenfalls dieser Zeit – purer Zufall- mit einer Kultur-Veranstaltung verbunden, die inzwischen international große Beachtung findet: Das Schrit_tmacher-Festival in der alten Strang-Stahlfabrik an der Philipps­- straße in Aachen. Ein schon von außen imposantes Backstein-Industriedenkmal aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Stolze 120 Meter lang, mit einem durchgehenden Oberlicht-Aufsatz in knapp 14 Metern Höhe und einem dreigeschossigen Büroquerbau am vorderen Ende.

Im Jahr 1846 war von mehreren Aachener Unternehmerfamilien – unter anderem auch Talbot – der „Aachener Hütten Aktienverein“ gegründet und auf dem neu erworbenen Grundstück ein Walzwerk errichtet worden, was rasch zum jahrzehntelangen Marktführer in Deutschland heranwuchs und nicht nur das eigene Reich mit Schienensträngen versorgte, wodurch auch das lang existierende Lütticher Hütten-Monopol beendet wurde. Nur elf Jahre nach der Übernahme durch den Gelsenkirchener Bergwerksverein im Jahr 1907 fiel das Werk bedingt durch die linksrheinische Besetzung als Folge der Friedensauflagen nach dem 1. Weltkrieg an die Arbed-Saar-Stahl. Aber nicht zuletzt wegen der strengen Besatzungsstatuten bezüglich Rohstoffversorgung kam 1926 das endgültige Aus.

Drei Jahre später übernahm die 1896 als Schlosserei in der Robensstraße gegründete Firma Strang die stillgelegte Werkshalle der Hütte, auf der anderen Seite der damaligen Zeppelinstraße entstand ab 1934 ein Rundfunkgerätewerk von Philips, dem Vorläufer der späteren Glühlampen- und Bildröhrenfabrik. Der Nachfolger des 1923 verstorbenen Firmengründers Damian Strang, sein Schwiegersohn Georg Born, spezialisierte sich auf Bauteile für den Stahlhochbau, wie zum Beispiel die Eisenbahnbrücke Rothe Erde, große Schweißkonstruktionen für den Industriebau, Tragwerkskonstruktionen unter anderem für die Kuppel von St. Johann in Burtscheid. In der monumentalen Halle konnten Elemente bis zu 60 Tonnen Stückgewicht gefertigt werden. Das Unternehmen selbst wurde 2006 an eine Dürener Unternehmensgruppe verkauft. Der Bau selbst blieb weiter im Besitz der Familie Born, welche seit 2011 den Veranstaltern des Schrit_tmacher-Festivals ein historisches Ambiente bietet.

Nach der Schließung der Fabrik ist scheinbar nur mal durchgefegt worden Gut so!

Beim Gang durch die Halle, die ähnlich einem Kirchenschiff links und rechts jeweils von zweigeschossigen Seitenschiffen gesäumt wird, meint man fast noch den Schweiß der Stahlarbeiter riechen zu können, die scheinbar alle gerade in Pause sind. Überall sind noch metallene Zeitzeugen sichtbar: Die große Werksuhr am Bürotrakt, der Laufkran, die riesigen Stahlhaken zum Lastenheben, die beinahe komplett erhaltene Schmiede mit Esse und vieles mehr. Zu diesem Eindruck trägt natürlich auch die Tatsache bei, dass man – außer einem Teil des Glasdaches wegen Undichtigkeit – noch nichts schönsaniert hat. Nach der Schließung der Fabrik ist scheinbar nur mal durchgefegt worden. Gut so! Bühnenbau

Diese Umstände sind auch das Grundkapital für die spannende Rauminszenierung beim jährlichen Schrit_tmacher-Festival. Die Firma ARTEC, 1993 von Thomas Paa und Georg Schlag zunächst als Lieferant von Licht- und Tontechnik an der Jülicher Straße gegründet, ist nach ihrer Spezialisierung auf Veranstaltungstechnik und Bühnen- beziehungsweise Sonderbau vor einigen Jahren als neuer Nutzer in die große Halle umgezogen. Dort lagern nun unzählige Stahlelemente für die unterschiedlichsten Anforderungen. Von Großaufträgen wie Messepavillons, Bühnenaufbauten, Fußgängerbrücken etc., der Werkstoff Stahl spielt also weiterhin die Hauptrolle in der ehemaligen Fabrikationshalle. Einmal im Jahr wird mit einem immensen Aufwand die komplette Mittelachse leergeräumt und in die Seitenarme verfrachtet, um Platz zu schaffen für eine große Tanzbühne und eine kolossale bestuhlte Sitztribüne für mehrere hundert Zuschauer.

TrägerJetzt, wo ein Teil des zuvor sorgfältig gestapelten Materials steil aufragend zu einem „Theater in Fabrik“ verbaut worden ist, wirkt die sensationelle Gesamtarchitektur noch beeindruckender, auch aufgrund der gezielt eingesetzten Lichttechnik, welche die sagenhafte Raum-Dramaturgie vollendet. Ein temporäres Foyer mit Garderobe und Gastronomie empfängt den Zuschauer und lässt dessen Blick einer Spirale gleich rundherum bis nach oben schweifen. Unwillkürlich ist man vom Geist dieses Gebäudes in den Bann gezogen. Bereits zum 21. Mal findet dieses Jahr das Schrit_tmacher-Festival, vom 16. Februar bis 20. März, statt. Zum sechsten Mal in der alten Strang-Fabrik und zum siebten Mal in Zusammenarbeit mit dem Theater Heerlen als zweitem Veranstaltungsort. Als Rick Takvorian ebenfalls 1993 als Veranstaltungsmanager des Ludwig-Forums in Aachen das Tanzfestival ins Leben rief, hatte das Theater Aachen gerade seine Ballett-Sparte aufgelöst – aus Mangel an Publikumsinteresse. So fanden sich in der Anfangszeit oft auch nur ein paar Dutzend Tanz-Interessierte im LuFo ein, um internationale Kompanien zu sehen. Aber sein glückliches Händchen bei deren Auswahl sprach sich schnell herum, und die Zuschauerzahlen wuchsen schnell. Seit der Hinzunahme von Heerlen nahm auch die Anhängerschaft jenseits der Grenze zu.

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Der Ruf ist international beachtet und es gibt Anfragen von Tanz- Kompanien weltweit.

Ein Jahr später wagte man die Verlagerung vom LuFo in die ehemalige Fabrik Stahlbau Strang, und parallel zum Tanz-Programm werden nun begleitende Workshops und Filmvorführungen angeboten. Noch gut in Erinnerung ist vom vergangenen Jahr die Ausstellung des monumentalen Bildes „Kaiserwalzer“ vom Aachener Künstler Eric Peters, welches während der Festival-Dauer im Interims-Foyer hin: 20 Quadratmeter groß mit vermeintlich tanzenden Soldaten aus dem Kaiserreich mit Stahlhelm und Eisenbajonett, beeindruckend und erdig-monochrom wie die Umgebung, jeden Besucher vor und nach der abendlichen Tanzvorführung anders „ansprechend“.

Das Festival hat inzwischen bereits die magische Zahl von 10.000 Zuschauern überschritten. Der Ruf ist international beachtet, und mittlerweile gibt es schon Anfragen von Kompanien weltweit, die in Aachen dabei sein möchten – welch eine Erfolgsgeschichte!

Übrigens: Der Ausnahme-Künstler Eric Peters wird in der nächsten AQUIS CASA mit einem Atelierbesuch ausführlich vorgestellt werden.

Kurz vor Beginn des diesjährigen Festivals hatte ich Gelegenheit, sowohl Thomas Paa von ARTEC, als auch Rick Takvorian vom SCHRIT_TMACHER-FESTIVAL einige Fragen zu stellen.

Herr Takvorian, kann man inzwischen von einer regelrechten „Szene“ von Anhängern des Modern Dance in der Aachener Region sprechen?

Takvorian: Das kann man durchaus! Wir merken an dem Interesse von Publikum und Presse an schrit_tmacher, sowohl während wie auch in der Zeit außerhalb des Festivals, dass sich eine richtige euregionale Szene aufgebaut hat. Und das Spannende daran ist noch: Es sind nicht nur Tanzkenner dabei, sondern kulturell Interessierte, Kunstliebhaber, Musikfans – ein richtiges Crossover-Publikum mit einem ausgedehnten Tanz-Kern. Was veranlasst renommierte Tanz-Kompanien, ausgerechnet beim Aachener schrit_tmacher-festival zu Dumpingpreisen aufzutreten? Takvorian: Ich würde niemals von Dumpingpreisen sprechen, aber es ist tatsächlich so, dass wir oft in den Genuss von Auftritten von Künstlern und Companien kommen, die eigentlich normalerweise für uns zu teuer wären. Diese aber wollen bei schrit_tmacher spielen. Entweder waren sie schon da und haben Festival und Publikum erlebt, oder sie haben von anderen Künstlern Positives über das Festival erfahren, oder sie sehen, wer schon dort war, oder aber sie wollen einfach bei dem bekannten schrit_tmacher – Festival gespielt haben. Ohne übertreiben zu wollen: Wir haben schon einen sehr guten Ruf!

Hegen Sie Wunschvorstellungen, die aber in dieser Halle nicht realisierbar sind?

Takvorian: Von Vorteil bei schrit_tmacher ist die Tatsache, dass wir für das Hauptprogramm zwei völlig unterschiedliche Bühnen haben, die sich toll ergänzen und zusammen so gut wie alles realisieren lassen. Der Clou dabei ist, ein entsprechendes Programm zu konzipieren, das die Stärken und Möglichkeiten dieser zwei Spielorte ausnutzt.

Gibt es Expansionspläne?

Takvorian: Durchaus! Ab 2017 werden wir die ersten Gehversuche in dem neuen Alten Schlachthof Eupen machen. Kerkrade könnte auch eine Option in Zukunft sein, wie auch Kunst- oder Galerie-Locations wie Schunck oder das Ludwig Forum für ausgefallene, experimentelle Produktionen.

Wo sehen Sie das Festival in 10 Jahren?

Takvorian: Ich wusste vor 10 Jahren nicht, wo wir heute sein würden. Ich weiß nur, dass ich guter Hoffnung bin, dass schrit_tmacher, wie jedes Kind, seinen Weg weiterhin macht, wächst, gedeiht und von Jahr zu Jahr sowohl lernt als auch inspiriert.

Über die Heizkosten der Halle können wir gerne später nochmal reden…

Herr Paa, graut es Ihnen eigentlich vor dem jährlichen Kraftakt des Ausräumens der Halle, oder ist dies auch eine willkommene Gelegenheit, einmal aufzuräumen?

SchweissenPaa: Schon etwa drei Monate vor der ersten Aufführung werden die Halle und die Stellplätze sortiert und vorbereitet. 14 Tage vorher beginnen die Reinigung und der Aufbau. Dabei wird das Lager mindestens einmal im Jahr grundgereinigt, und der positive Effekt einer aufgeräumten Halle ist jedes Jahr auf diese Weise gegeben.

 

Können Sie die fast fünf Wochen mit Aufführungen in Ihren Räumen auch selbst genießen?

Paa: Auch im 21. Jahr schrit_tmacher freuen wir uns immer wieder auf die Veranstaltung und die Künstler aus der ganzen Welt. Sind Sie inzwischen ebenfalls tanzbegeistert, oder beschränkt sich Ihr Interesse an modernem Tanz nur auf das schrit_tmacher–Festival in Ihren Räumen? Paa: Die Laufzeit der Veranstaltung reicht für mich für ein ganzes Jahr.

Gibt es technisch noch Erweiterungspotential in Sachen Bühne oder Zuschauerränge?

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Paa: Die Anzahl der Sitzplätze ist leider baulich begrenzt. Eine größere beziehungsweise längere Tribüne könnten wir bauen, aber die Entfernung zur Bühne wird dann zu groß.

Ist das alte Industriedenkmal für die Nutzung durch Ihre Firma artec zuweilen auch hinderlich?

Paa: Nein, die großen Fensterflächen mit dem Tageslicht und der optische Industriecharme erfreuen uns jeden Tag. Über die Heizkosten können wir später noch einmal reden.

Herr Takvorian, Herr Paa, wir danken Ihnen herzlichst für das Gespräch!

schrit_tmacher-2013_Oguike-Dance-Company_18_©-Andreas-Herrmann

schrit_tmacher-2013_Stahlbau-Strang_Foto-Andreas-Herrmann_03

 

TEXT: Rainer Güntermann

FOTOS: Holger Schupp, Marcello Vercio, Stefan Schroeder, Archiv familie born, andreas Herrmann