Das Ende des fiktiven Schadenersatzes

Markus Cosler
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht | Lehrbeauftragter für Baurecht an der FH Hannover

Die Situation kennt – leider – fast jeder. Man wird unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt, dadurch entsteht ein Schaden am Fahrzeug. In dieser Situation fährt man zur Werkstatt oder zu einem Sachverständigen, holt einen Kostenvoranschlag oder ein Gutachten über den entstandenen Schaden ein, reicht die Unterlagen bei der gegnerischen Versicherung ein und erhält – mehr oder weniger prompt und vollständig – zumindest die entsprechenden Reparaturkosten ohne Umsatzsteuer erstattet. Nach erfolgter Reparatur wird dann auch die Umsatzsteuer erstattet, wenn man die entsprechende Reparaturrechnung vorlegt. Insgesamt kann man in dieser Konstellation aber auch auf die Reparatur verzichten, der Schaden kann – wie wir Juristen sagen – „fiktiv“ abgerechnet werden, das heißt, man „lebt“ mit dem entsprechenden Schaden und muss die Summe, die man insoweit erhalten hat, nicht zwingend für die entsprechende Reparatur aufwenden. Dies galt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes für alle Lebensbereiche und Rechtsgebiete, so auch am Bau.

Seit dem 22.02.2018 ist dies aber anders: Der insoweit für Bausachen zuständige 7. Senat des Bundesgerichtshofes hat nämlich mit besagtem Urteil vom 22.02.2018 zum Aktenzeichen VII ZR 46/17 entschieden, dass der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, den Schaden nicht mehr nach den fiktiven Mangelbeseitigungskosten bemessen darf. Wenn es um eine Bauleistung geht, muss also der Bauherr sich bei Mängeln an dieser entscheiden: Lasse ich den Mangel tatsächlich beseitigen, so darf ich von der Rechnung des Unternehmers die Mangelbeseitigungskosten als Vorschuss abziehen und dann – nach Ablauf der entsprechenden angemessenen Fristsetzung zur eigenen Mangelbeseitigung gegenüber dem Unternehmer – den Mangel durch eine Drittfirma beseitigen lassen. Wenn ich mich aber dafür entscheide, mit dem Mangel zu leben, dann dürfen von der Rechnung nicht die fiktiven Mangelbeseitigungskosten abgezogen werden, sondern der Rechnungsbetrag ist insoweit nur angemessen zu mindern. Diese Minderung ist dergestalt zu ermitteln, dass quasi im Wege einer Vermögensbilanz die Differenz zwischen dem tatsächlichen Wert eines mangelfreien Gewerkes und dem hypothetischen Wert des mangelhaften Gewerkes gebildet wird. Dies ist naturgemäß eine deutlich geringere Summe als die eigentlichen Mangelbeseitigungskosten. Um das Ganze an einem Beispiel transparent zu machen: Man erhält insoweit als Bauherr unter anderem eine neue Haustüre. In dieser neuen Haustüre ist ein Kratzer. Wenn der Bauherr sich nun dafür entscheidet, mit dem entsprechenden Kratzer zu leben, wäre es natürlich ungerecht, wenn der Unternehmer trotzdem die volle Vergütung erhält. Genauso ungerecht wäre es aber nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wenn der Bauherr die Kosten für den Austausch der Türe von der Rechnung abzieht, obwohl er den Austausch gar nicht vornimmt. Dann ist eben zu ermitteln, wie der Wert der Türe mit dem Kratzer anzusetzen ist und um wie viel dies geringer ist, als der Wert einer Türe ohne Kratzer. Eine sicherlich spannende Aufgabe für Sachverständige auf dem entsprechenden Gebiet. Selbstverständlich liegt hier – bedauerlicherweise – ein nicht unerhebliches Maß an Konfliktpotential bei der Ermittlung dieser Wertminderung. In jedem Fall falsch – und insoweit insbesondere für Architekten als Bauherrenvertreter haftungsträchtig – wäre es aber, die Mangelbeseitigungskosten in jedem Fall anzusetzen. Letztlich ist also bauherrenseits hier in jedem Fall zunächst die Frage zu klären, ob man mit dem Mangel leben möchte oder nicht. Erst dann kann man sich der Frage widmen, in welcher Höhe dann ein berechtigter Abzug von der Rechnung vorgenommen werden kann.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Text: Markus Cosler Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht Lehrbeauftragter für Baurecht an der FH Hannover