DIE SELFIE HOME COLLECTION

Es wird Zeit – höchste Zeit, meinen Sie nicht? Oder haben Sie schon? Also ich jedenfalls werde mich jetzt schnellstens an die Arbeit machen. Schließlich habe ich die Zeichen der Zeit erkannt. Wieso immer alles von anderen Leuten kaufen? Schließlich mache ich ja auch keine Fotos mehr von anderen Leuten, sondern ausschließlich von mir selbst. Gut, da ich keine Augen im Hinterkopf habe, weiß ich nicht, ob nicht gerade irgendjemand Fremdes hinter mir ungebeten durchs Bild läuft und ebenfalls auf mein Handy gebannt wird – geschenkt. Aber vordergründig konzentriere ich mich auf meine Person. Und daher ist es an der Zeit, nicht nur mein Foto, sondern auch meinen Lebensstil weiter zu verbreiten und mit anderen Leuten zu teilen. Schließlich haben alle, die etwas auf sich halten, auch inzwischen ihre eigene Collection (mit kreativ-c) herausgebracht. Ob Möbel, Textilien, Haushaltwaren oder Delikatessen – alles mit eigenem Konterfei und Monogramm, eigens von –ach, egal- entworfen, aber das Deßign (für Insider mit scharf gesprochenem s) selbst signiert. Da möchte ich nicht hintenan stehen. Ich habe auch schon konkrete Vorstellungen: Einen Kaffeebecher zum Beispiel mit einem eleganten Porträt von mir, damit ich morgens beim Frühstück erahnen kann, wie ich im weiteren Verlauf des Tages aussehen könnte. Oder ein weiches Sofakissen mit meinem Konterfei, das nach einem Spielfilmabend wieder mehr Falten hat als ich in Natura. Auch einen Rotwein stelle ich mir vor, auf dessen Etikett ich mir und natürlich dann auch allen Käufern ermunternd zuzwinkere. Ausprobiert habe ich übrigens ja alles schon bei meinen Kindern. Vom Tag der Geburt an konnten sie unter allen Schlafsäcken, Nuckellappen, Kapuzentüchern und dergleichen mehr ihre eigenen, weil mit Namenzug bestickten Exemplare herausfinden –so sie denn hätten lesen können. Im Kindergarten hatten sie selbstredend ihre personifizierten Brotdosen, Trinkflaschen und Sportutensilien. Und damit sie von fremden Menschen auf dem Schulweg direkt mit Vornamen angesprochen werden konnten natürlich auch ihre namentlich bedruckten Ranzen. Das alles allein mit dem gutem Vorsatz, den Kindern ihre Individualität zu vermitteln. Denn sie sollen wissen, dass sie einzigartig sind, Prinz oder Prinzessin eben, abgehoben von der Masse. Für diesen Zweck ist eine Kiddy-Home-Collection genau das Richtige. Einige Jahre später wird das Ganze mit dem eigenen Social-Media-Account und einem Selfie über dem Namenszug noch professionalisiert und altersgerecht aktualisiert in die virtuelle Welt verschickt – und schon befindet man sich in bester Promi-Gesellschaft. Nachtwäsche von der letzten Dschungelcampsiegerin, eine Körperpflege vom Next-Super-Talent-Model-Star, das Salatöl von der aktuellen Miss Nord-West-Deutschland oder der Bettbezug von einem B bis C –Promi. Hauptsache, man weiß von wem.

 

 

von Rainer Güntermann