DER Hygge HOME HYPE

Alle 10 bis 20 Jahre geistert ein neuer Begriff für einen neuen Wohnstil durch die Gazetten, inzwischen selbstredend auch durch alle digitalen Kanäle. Immer dann, wenn der allgemeine Trend zu mehr Sachlichkeit, Schlichtheit und somit weniger Opulenz neigt, entsteht gefühlt über Nacht eine regelrechte Gegenbewegung, die uns wieder zurück zu unserer urdeutschen Gemütlichkeit führen möchte. In den Memphis- und Mendini-geprägten 1980er Jahren war es die Nostalgie-Welle (Intellektuelle –weil André-Heller-Fans- sprachen frankophon-näselnd von Nostalschie-Welle). Zu Anfang der 2000er wurden wir dann mit dem englischen Begriff Cocooning gedrängt, uns in unsere vier Wände zurückzuziehen, natürlich nachdem wir diese umfangreich umgestaltet und muckelig neu möbliert hatten. Jetzt ist die Zeit wieder reif für ein neues Wohn-Wohlgefühl, und zur Abwechslung haben sich die Einrichtungs-Trendsetzer dieses Mal des skandinavischen Wortschatzes bedient. Hygge heißt das neue Zauberwort. Was sich wie ein neues Schwedenregal anhört, ist aber nur der Oberbegriff einer ursprünglich dänischen Auffassung von Gemütlichkeit. Dass die Skandinavier eigentlich nur ein Gefühl umschreiben und nicht einen konkreten Wohnstil, lassen wir mit unserem deutschen Verlangen nach immer neuen Vorbildern gern außer Acht. Wir machen direkt Nägel mit Köpfen. Erscheint am fernen Horizont eine neue Sportart, decken wir uns direkt ein mit den Must-Haves der dafür angesagten Bekleidung. Wird irgendwo ein hipper Ernährungsstil kreiert, statten wir uns direkt mit dem kompletten für die Zubereitung nötigen und unnötigen Technik-Equipment aus. Jetzt also hyggt man, und es reicht uns nicht, für dieses Wohlgefühl unseren Kopf neu einzurichten, sondern wir brauchen handfestes Material in Form von gemütlichen Möbeln und vor allem heimelnden Accessoires. Ist die Welt außerhalb unseres Zuhauses unwirtlich und abweisend, richten wir uns halt eine heiles Heim ein, hyggen das Haus sozusagen, und alles ist gut. Hygge statt Schwamm drüber, und schon sind alle Sorgen vergessen. Wir ergeben uns in Bullerbü-Romantik und blenden den Rest aus. Wobei wir ja spät dran sind – scheinbar. Denn plötzlich sticht uns der Begriff nicht nur auf den Titelseiten der einschlägigen und –fältigen Wohnmagazine ins Auge, sondern auch in der Abteilung „Living“ des sogenannten gut sortierten Buchhandels entdecken wir gleich eine ganze Schar von Hygge-Ratgebern mit unzähligen gehyggten Wohnungen, in denen bereits seit langem und ganz selbstverständlich gehyggt wird. Da wird es höchste Zeit, dass auch wir uns von unseren nüchternen und klaren Interieurs verabschieden und ebenfalls mithyggen. Also: Auf die Plätze, fertig, Hygg!

von Rainer Güntermann