Gefahr bei Glatteis –
Die Räum- und Streupflicht

 

Paragraph-34-35

Achim Delheid <br> Fachanwalt für Verkehrsrecht | Fachanwalt für Versicherungsrecht

Achim Delheid
Fachanwalt für Verkehrsrecht | Fachanwalt für Versicherungsrecht

„Als Grundstückseigentümer bin ich verpflichtet bei Glätte zu streuen. Mir

obliegt die so genannte Verkehrssicherungspflicht, weshalb ich dafür zu sorgen habe, dass auf meinem Grundstück niemand zu Schaden kommt.“

Diesen Satz würden vermutlich die meisten Grundstückseigentümer unterschreiben. Der Grundsatz ist dabei auch richtig, die juristische Ausgestaltung in der Praxis allerdings äußerst schwierig, weshalb die Streupflicht Gegenstand zahlreicher Entscheidungen der Gerichte ist. Ein Sturz auf Schnee oder Eis kann zu unangenehmen und schweren Verletzungen führen. Dennoch handelt es sich um einen „normalen“ Schadensersatzanspruch, bei dem der Geschädigte zunächst nachweisen muss, dass schuldhaft eine Pflicht verletzt wurde. Er muss also zunächst einmal nachweisen, dass überhaupt eine Streupflicht bestand.

Bereits hier gibt es Abgrenzungsschwierigkeiten, die im Einzelfall so schwierig sein können, dass sich sogar regelmäßig der Bundesgerichtshof mit dieser Frage beschäftigen muss. Ebenso regelmäßig erfährt der Grundsatz Ausnahmen wie in diesem Fall: Einen Tag vor Heiligabend ist die Mitarbeiterin eines Pflegedienstes auf einem Grundstück auf einer Eisfläche zu Fall gekommen. Dies geschah am Sonntagmorgen gegen 10:00 Uhr. Die Eisfläche habe etwa Ausmaß von 20 × 30 cm gehabt und war für die geschädigte Person nach eigenem Vortrag nicht zu erkennen. Gestreut wurde von den Eigentümern an diesem Morgen nicht.

Einigermaßen überraschend dürfte vor dem Hintergrund dieses Sachverhaltes die Entscheidung des Bundesgerichtshofs sein, dass der Geschädigten weder Schadensersatz noch Schmerzensgeldansprüche zustehen. Der Bundesgerichtshof hat eine Streupflicht verneint. Eine Streupflicht bestehe nur bei “allgemeiner Glättebildung.“ Die Geschädigte war nicht in der Lage, eine solche allgemeine Glättebildung nachzuweisen. Im Urteil heißt es hierzu wörtlich:
“Jedenfalls lasse sich nicht feststellen, dass es bereits vor 9.15 Uhr zu einer allgemeinen Glätte gekommen sei. Nach dem Gutachten des Deutschen Wetterdienstes sei es in der Zeit zwischen etwa 8.30 Uhr und 9.15 Uhr zu leichtem, kurzzeitig auch mäßigem Regen gekommen, der auf dem unterkühlten Boden gefroren sei. Da nicht sicher feststellbar sei, zu welcher Uhrzeit konkret im Bereich des Grundstücks der Beklagten Niederschlag eingesetzt habe, könne von Regenfall mit der Folge einer allgemeinen Glättebildung erst um 9.15 Uhr ausgegangen werden. Zur Erfüllung der Räum- und Streupflicht sei dem Pflichtigen im Regelfall ein Zeitraum von nicht unter einer Stunde nach Einsetzen der allgemeinen Glätte zuzubilligen, wenn nicht aufgrund besonderer Umstände Anlass zu einer früheren Durchführung von Räum- bzw. Streumaßnahmen bestehe. Bei der am Unfalltag herrschenden Wetterlage hätten keine hinreichend erkennbaren Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr bestanden, die ausnahmsweise vorbeugende Maßnahmen geboten hätten. Es sei auch nicht festzustellen, dass die Beklagte am Unfalltag, einem Sonntag, damit habe rechnen müssen, dass Personen schon um 10.00 Uhr ihr Grundstück beträten.“

Wenn man aber davon ausgeht, dass frühestens um 9.15 Uhr eine Glättebildung überhaupt angenommen werden kann, so sei dem Grundstückseigentümer noch eine gewisse Zeit zuzubilligen auf die Glätte zu reagieren. Diese Zeit sei um 10 Uhr jedenfalls noch nicht überschritten. Es bestand daher um 10 Uhr jedenfalls noch keine Streupflicht. Der BGH stellte also fest, dass aufgrund der nicht allgemeinen Glättebildung für den Eigentümer kein Grund bestand, von einer drohenden Gefahr für Fußgänger auszugehen, weshalb die Streupflicht noch nicht ausgelöst wurde. Die Geschädigte hätte aber die allgemeine Glättebildung und die Streupflicht nachweisen müssen.

Auch bei einer nachgewiesenen allgemeinen Glättebildung ist allerdings der Anspruch noch nicht durchgesetzt. Schafft es der Geschädigte nachzuweisen, dass eine Streupflicht bestand und die Streupflicht auch verletzt wurde, so besteht der Anspruch nur dann, wenn er sich auf die Umstände nicht hätte einstellen können. In einer Entscheidung des Landgerichts Aachen, wurde ein Anspruch zum Beispiel deswegen komplett abgewiesen, weil die Geschädigte schilderte, überall seien Schneehaufen erkennbar gewesen und der Bürgersteig hätte überall voll von Schnee gelegen. Im konkreten Fall war die Straße allerdings geräumt und sie war nicht so stark frequentiert, als dass man nicht ausnahmsweise hätte ein paar Meter auf der Straße gehen können. Auf erkennbare Gefahren muss sich jeder Verkehrsteilnehmer- auch Fußgänger- aber einstellen, z.B. auch durch geeignetes Schuhwerk. Tut man dies nicht, verliert man seinen Schadensersatzanspruch.

Text: Achim Delheid