Kino in neuem Glanz – Capitol Aachen

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Treppenhaus

Der filigran reduzierte Schriftzug nahm die grafische Schlichtheit der 60er Jahre vorweg.

Im Jahr 1958 vom Aachener Architekten Fritz Eigelshofen erbaut, nahm das Kino Capitol mit seiner im unteren Teil leicht geschwungenen, aber mit Eloxal-Fenster- und Türelementen geradlinig unterteilten Fassade schon die grafische Schlichtheit der 60er Jahre vorweg. Auch der allen Aachenern bekannte Neon-Schriftzug ist nicht dem damaligem Zeitgeist entsprechend kursiv und in Schreibschrift-Manier gehalten, sondern filigran reduziert. In Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz ist nach der Übernahme durch die Cineasten-Familie Stürtz und dem Umbau Ende 2014 auch die Fassade wieder in Originalfarbtönen gehalten worden. Im Inneren dominieren nun ebenfalls wieder die Farben und Materialien wie zur Eröffnung des Filmtheaters: Stoffbespannte Wände in edlem Silbergrau, ein handgeknüpfter Leinwand-Vorhang in einem warmen Grünton und Holzvertäfelung. Aber dazu später mehr.

Capitol von vorne

Nachdem die Ufa in den 70er Jahren auch in Aachen mehrere Kinos übernommen hatte, wurden diese oftmals ohne Rücksicht auf die jeweilige Architektur allein unter der Prämisse der Gewinnmaximierung in kleine Schachtelsäle aufgeteilt. Auf der Strecke blieben Individualität, Erlebniswert und am Ende auch der angestrebte Profit. Mit der zwangsläufigen Insolvenz der Ufa und des sukzessiven Verkaufs der Spielstätten endete für einige endgültig die Existenz. Andere wiederum wurden von neuen Betreibern übernommen. Zu diesen zählen auch Leo und Willi Stürtz, zwei Brüder aus der bekannten Alsdorfer Kinofamilie. Bereits 1938 gründeten die Eltern dort das „Atrium“, 1952 das „Gloria“ und später noch das „Thalia“ und das „Forum“. Schon als Kinder halfen die beiden in den elterlichen Betrieben mit und atmeten Filmtheaterluft. 1997 kam mit der Eröffnung des „Cinetower“, in einem ehemaligen Wasserturm, eine neue Dimension von Kinoerlebnis hinzu. Inzwischen wird dieser Komplex von der dritten Generation, den Brüdern Sebastian und Moritz, geführt, sodass man nunmehr auch ruhig von einer Kinodynastie sprechen darf. Aufgrund des Erfolges wagte man dann 2004 den Sprung nach Aachen und übernahm von der Ufa sowohl das „Cinekarree“ im Kapuziner-Karree, welches jetzt unter „Cineplex“ firmiert, als auch 2009 das „Eden“. Letzteres wurde entschachtelt und bietet nach dem Umbau unter anderem den würdigen Rahmen für die Direktübertragungen von Opernaufführungen der Metropolitan Opera in New York. Mit der Übernahme des „Capitol“ von Interimsbetreibern entstand der Gedanke, mit dieser Spielstätte einen völlig neuen Weg zu gehen: Drastische Reduzierung der Sitzplätze zugunsten von Bequemlichkeit, Gastronomieangebot, Nachhaltigkeit, Erlebniswert und Gediegenheit.

Kinosessel

Man ist fast geneigt, sich bei diesem Luxus und der Großzügigkeit die Schuhe auszuziehen.

Bereits der erste Eindruck beim Betreten des Kinosaals ist überwältigend: Zunächst wähnt man sich gar nicht in einem Kino, sondern in einer riesigen Szene-Bar oder einem mondänen Club. Die langgestreckte Bar mit bequemen Hockern und einige SBilder an der Wandtehtische vor dem großen Leinwandvorhang verbreiten wahrlich Großstadt-Atmosphäre und laden direkt zum Pre-Drink ein. Spätestens jetzt erschließt sich einem Jeden die frühe Öffnungszeit vor der Vorstellung, wie auch die Möglichkeit, freitags und samstags nach der Filmvorführung den Abend an der Bar ausklingen zu lassen. Die Tatsachen, dass nur ein Film pro Abend gezeigt wird, dies sogar ohne Produkt-Werbung, die Umbaukosten von 11.000 Euro pro Sitzgelegenheit (mehr als das Doppelte des Branchenüblichen), die reduzierte Anzahl von nur 41 Master-Sesseln im Parkett und 83 sehr geräumigen und bequemen Stühlen auf dem Balkon – all dies steht für puren Enthusiasmus und idealistisches Luxus-Hobby.
HeftÜberhaupt die Sessel! In Rückenlehnenneigung exakt auf das Verhältnis von eingeebnetem Boden zur hohen Leinwand angepasst, derart großzügig bemessen, dass man fast geneigt ist, die Schuhe auszuziehen und die Extremitäten mit auf die
Sitzoase zu nehmen. Der kleine Nierentisch aus Holz davor – alles großes Kino. Nicht unbedingt etwas für kuschelsüchtige Jungverliebte, aber Händchenhalten überder dezenten Tischbeleuchtung ist ja auch schön.

KinosesselDas Fehlen von Popcorn wird mehr als ausgeglichen durch eine anspruchsvolle Auswahl von leckeren Kleinigkeiten in ansprechender Präsentation, und die vielen, durch angemessene Garderobe zu erkennenden Servicekräfte, gepflegt servierten Getränke, unter anderem auch Weine, Cocktails und – für mich als Wahlbelgier sehr willkommen – Trappistenbier. Dies alles unter dem Vorzeichen der Abkehr vom Wegwerf-Catering.

Bleibt noch anzumerken, dass dieser Kino-Club auch für Feste gemietet werden kann. Inklusive Filmvorführung!

Innen wie außen ein architektonisches Schmuckstück in und für Aachen.

Aber ich merke gerade: Ich schweife ab. Jedenfalls spätestens vor dem zweiten Besuch des Capitols beschleicht einen das Gefühl, auch sich selbst für diesen Filmabend etwas mehr in Schale zu werfen, als für ein Cola/Nacho-Cinema, ganz entsprechend dem Auftritt des Capitol-Kinosaals. Ein innen wie außen architektonisches Schmuckstück in und für Aachen!

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Text: Rainer Güntermann

Fotos: Capitol Aachen, Marcello Vercio