MUSEUM VIEILLE MONTAGNE KELMIS/LA CALAMINE

Jeder, der schon einmal durch Kelmis gefahren ist, ist an diesem imposanten Gebäude vorbei gekommen, jedoch wahrscheinlich ohne es zu bemerken. Das mag auch an der Tankstelle liegen, die sich in einem direkten Anbau befindet und mit ihrer Reklame eher die Blicke auf sich zieht. Nun jedoch wird sich dies ändern. Das matt schimmernde Dach, die restaurierte Fassade und das nun schmucke kleine Gebäude am anderen Ende deuten auf eine neue Nutzung hin: Das Museum Vieille Montagne. Wenige Tage vor der offiziellen Einweihung hatten wir die Gelegenheit, schon einmal einen Blick in die Räumlichkeiten zu werfen.

Wie so oft fing auch im beschaulichen Kelmis alles schon zur Römerzeit an, jedenfalls wird der Erzabbau schon zu dieser Zeit hier vermutet. Gesichert sind Nachweise aus dem frühen Mittelalter. Seit dem 15. Jahrhundert gab es Handelsbeziehungen zu Nürnberg, aber auch zu Schweden und Lothringen. Angeblich soll die Hälfte der Pariser Dächer mit Zink aus der Kelmiser Hütte Altenberg gedeckt worden sein. Zur Blüte jedoch kam die Gewinnung des Kieselzink­erzes, des sogenannten Galmei, zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Wurde bis 1805 das Mineral nur zur Herstellung von Messing, dem gelben Kupfer, benutzt, wandelte man das abgebaute Erz nun durch die Reduktion mit Kohle in sogenannte Muffelöfen in Zinkmetall um. Von circa 300 Arbeitern um 1800 stieg die Anzahl der Mineure auf über 5000. Das im dortigen Sprachgebrauch Kelms/Kelmes oder eben auch Calamine bezeichnete Mineral wurde am Altenberg, dem Gelände des heutigen Kelmis, abgebaut. Die Ansiedlung hieß Preußisch-Moresnet, zwischen 1816 und 1919 auch Neutral-Moresnet, da es sich um ein mit der Spitze am Dreiländereck beginnendes, Tortenstückähnliches Gelände handelte, über dessen Zugehörigkeit sich wegen des Bodenschatzes die Staaten Preußen und Niederlande, Eigentümer des benachbarten Niederländisch-Moresnet, nicht einigen konnten. Daher war für gut 100 Jahre das Dreiländer- auch ein Vierländereck. Es entstand ein am Reißbrett geradlinig abgegrenzter Ministaat mit annähernder Steuer- und Zollfreiheit, zeitweilig auch mit eigener Briefmarke. Angeblich gab es hier auch die größte Dichte an Ausschankbetrieben, die nicht nur von den ansässigen Bergarbeitern in Anspruch genommen wurden. 1837 gründete der in Brüssel geborene Pariser Bankier Mosselmann die Aktiengesellschaft der Zinkminen- und Giessereien vom alten Berg, kurz VIEILLE MONTAGNE genannt und damit de facto auch die Ortschaft Kelmis, die zunächst nur aus den Minenarbeitern und deren Familien bestand. Die Gesellschaft baute Kirchen, Schulen, die Bahnlinie mit Bahnhof und prägte damit den Ort nachhaltig, nahm aber auch massiv Einfluss auf alles andere Geschehen in Kelmis.


Bis vor einigen Jahren existierte in Kelmis das Göhltal-Museum in einer stolzen Villa am Anfang der Ortschaft (von Aachen aus gesehen). Vielleicht hat der Name etwas irregeführt, denn es ging nicht nur um Flora und Fauna dieses Flusstales, sondern immer auch schon um den ehemaligen Erzabbau durch die Firma Vieille Montagne an dieser Stelle, ohne den es Kelmis gar nicht gäbe. Als sich die Chance ergab, das ehemalige Direktionsgebäude dieser Gesellschaft am anderen Ende von Kelmis zu kaufen, ergriffen beherzte Politiker die Gelegenheit beim Schopf, um an dieser geschichtsträchtigen Stelle das Museum neu und größer zu positionieren. Allen Unkenrufen und umbautypischen Kostensteigerungen zum Trotz eine kluge Entscheidung für die Zukunft. Nun kann man hier die ganze Historie um diesen Bergbau umfassend und nach neuesten Ausstellungskriterien aufbereitet zur Schau stellen. Das Ausstellungskonzept stammt von zwei Aachenerinnen mit Erfahrungen in Ausstellungs-, und Messe- und Möbelbau. Sie haben eine Multimedia-Ausstellungsarchitektur in das eindrucksvolle Innere der 1910 erbauten Firmenzentrale integriert und dabei so viel erhalten, wie möglich war. Selbst die alten, welligen, weil handwerklich hergestellten Fenstergläser konnten an einigen Stellen beibehalten werden. Aufwändige Steinintarsien im alten Terrazzoboden, Originaltüren mit Oberlichtern, Fensterbeschläge und sogar ein Teil der Treppenhaus-Beleuchtung bleiben somit weiterhin sichtbar. In mutigem Kontrast dazu –formal wie farblich- steht die maßgeschneiderte Innenarchitektur der Ausstellung. Auch das Dach wurde wieder in alter Form mit Zinkblechen verkleidet, jedoch vorpatiniert, um nicht zu neu zu glänzen. Ebenso die seitliche „Wetterwand“, hier in typischem Diagonalraster. „Eingang auf der Rückseite“ – so könnte man meinen, wenn man auf der Hauptstraße vergeblich nach dem Zugang sucht. Aber zur Zeit des Erzabbaus verkehrte auf der heutigen Autoachse eine Zuglinie, hauptsächlich zum Abtransport der Bodenschätze. Daher war und ist die eigentliche Hauptfassade des Direktionsgebäudes auf der vermeintlichen Rückseite. Betreten wird das neue Museum heute jedoch auch hier nicht, sondern vom kleinen Anbau aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, dem ehemaligen Bahnhof der Zuglinie. Hier befinden sich Empfang, Rezeption und Touristeninfo, und von hier aus gelangt man in das eigentliche Hauptgebäude, welches allein der Ausstellung vorbehalten ist. In das Obergeschoss gelangt man über das weitestgehend im Originalzustand erhaltene Treppenhaus mit großen, farbigen Glasfenstern, in allen Regenbogenfarben irisierenden Wandkacheln, schlanken Terrazzostufen und einem handwerklich sehr schön gearbeitetem Eisengeländer in strengem Jugendstil, welches durch die Hinterfütterung mit Panzerglasscheiben auch seinen Holzhandlauf behalten durfte. Ohne nachträglichen Stuck oder sonstiges „Beiarbeiten“ wurden Bögen, Hohlkehlen und Blindpfeiler einfach in ihrer Grundform erhalten und geben einen Eindruck vom ehemaligen Prunk dieses Direktionsgebäudes.

Ein kleines Labor innerhalb des Ausstellungskonzeptes soll auch junge Leute und Schulklassen anlocken, um mit kleinen Experimenten eigenhändig die Mineralverwertung zu erkunden. Gleichzeitig wird auch die oft in ihrer Ausnahmeposition unterschätzte, aber spannende Geschichte von Neutral-Moresnet eingehend erläutert. Ein weiterer Grund also, mal wieder auf die „belgische Seite“ zu fahren – nicht immer nur wegen der ebenso spannenden Gastronomie.

TEXT: Rainer Güntermann
FOTOS: Rainer Güntermann