Ribbecks Birnen Nachbars Kirschen und ein Apfelbaum

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Ribbecks Birnen Nachbars Kirschen und ein Apfelbaum 

Jeder Mann sollte in seinem Leben mindestens einen gepflanzt haben, und jeder Gartenbesitzer kann aus dem Nähkästchen plaudern über Schädlingsbefall und Wühlmausattacken, über den Apfel für den Apfelkuchen und die einzig wahre Obstfolge für einen gelungenen Rumtopf. Davon soll aber hier keine Rede sein. Nicht umsonst haben wir auch in der Euregio namhafte Gartenbauexperten, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung zu allen Fachfragen die passenden Antworten haben. Wir wollen uns allein der Geschichte des Obstanbaus widmen – und diese ist mindestens so interessant wie Düngerzusammenstellung, Bestäubungsproblematik oder Frostwiderstandsfähigkeit.

 

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Ganz ohne Wissenschaft wussten bereits unsere Urvorfahren vor Millionen Jahren um den Nährwert von wildwachsenden Früchten, vornehmlich Beeren, die sie zur täglichen Nahrung sammelten. Heute wissen wir, es sind die Vitamine und Mineralstoffe im Obst, die den menschlichen Organismus widerstandsfähig machen. Busch- und Strauchbeeren wurden somit auch zu den ersten kultivierten Nahrungspflanzen bereits tausende Jahre vor der neuen Zeitrechnung. Mit dem Übergang des Menschen vom Jäger und Sammler zu Ackerbau und Viehzucht wurden gezielt Bäume und Sträucher angepflanzt, deren Früchte zum Verzehr geerntet werden konnten. Erste Funde von wilden Äpfeln und Vogelkirschen in der heutigen Türkei stammen aus der Zeit um 6500 v. Chr. im Zweistromland sind bereits gegen 4000 v. Chr. Maulbeerbäume nachzuweisen, in Europa wurden am Bodensee Reste von Holzapfel und –birne gefunden, die bis auf circa 3000 v. Chr. datiert werden können. Die Wiege der Obstkulturen liegt jedoch in Vorderasien und im Orient. Birnen zum Beispiel stammen aus Persien, Äpfel aus Ägypten, die mit beiden verwandte Quitte aus dem Kaukasus, Pflaumen aus Anatolien und Aprikosen aus Assyrien. In Mesopotamien wurden ganze Parkanlagen und Palastgärten mit Obstbäumen bepflanzt. Von hier aus kamen die Baumfrüchte dank der Griechen und Römer nach Südeuropa, wo gegen 1000 v. Chr. der reguläre Obst- und Weinbau beginnt.
istock_84485675_largeDer antike Dichter Homer berichtet in seinem berühmten Heldenepos „Odyssee“ bereits von mehreren Obstsorten in entsprechend geplanten Gärten. Zu dieser Zeit kann man von einer ersten Blütezeit des Obstanbaus unter wissenschaftlichen Aspekten reden. Das sogenannte Okulieren (Veredeln mit einem Triebauge vom Obststamm unter der Rinde eines Wildbaums) wird um 450 v. Chr. ausführlich von dem griechischen Arzt Hippokrates beschrieben, und mit „De Agricultura“ vom römischen Zensor istock_76918049_xxlargeCato erscheint ungefähr 150 v. Chr. die erste Fachschrift über den Feldbau.

Mit den Eroberungszügen der beiden antiken Kulturen gelangten die Früchte nicht nur nach Athen und Rom, sondern auch weiter Richtung Norden über die Alpen nach Germanien und Gallien, wo sich der Obst- und Weinanbau jeweils rasch verbreitete. Um 500 werden in Bayern sogar Strafgesetze erlassen gegen die Beschädigung von Obstbäumen und Obstdiebstahl, wohl auch, weil es lange Zeit als Edelobst kein allgemein zugängliches Lebensmittel ist. Gärten sind rar und klein und vornehmlich für Grundnahrungsmittel bestimmt. Daher sind Obstbäume und ihre Früchte über Jahrhunderte exklusiv dem Adel mit seinen Parkanlagen und den Klöstern mit ihren großen Gärten, später auch wohlhabenden Bürgern vorbehalten, zumal es nur eingeschränkte Lager- und Konservierungsmöglichkeiten gab, und sofortiger Frischverzehr ein Luxusvergnügen war. In den Klöstern wurde das Wissen über Obstkulturen weiterentwickelt, oft in der Vorstellung, mit umfangreichen Obstgärten eine Art irdisches Paradies zu schaffen.

Karl der Große versuchte gegen 800 mit diversen Dekreten den Obstanbau zu forcieren: Die erste Baumschule für Obstgewächse wird gegründet, Hochzeits­- paare müssen einen Apfelbaum pflanzen, und der Obstbaum wird als Kulturgewächs den landwirtschaftlichen Nutzpflanzen gleichgestellt. Nun verbreitete sich der Obstanbau auch im heutigen Norddeutschland.

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Als großer Förderer der nun „Pomologie“ genannten Wissenschaft um den Obstanbau gilt Ende des 16. Jahrhunderts der Kurfürst August von Sachsen, der nicht nur für seine Untertanen ein „Künstliches Obstgartenbüchlein“ herausgibt, sondern stets einen hohlen Stock mit sich führt, welcher mit Obstkernen gefüllt ist, um diese überall aussäen zu können. Er setzt Prämien für Anpflanzungen aus und gebietet jedem Ehepaar, sogar gleich zwei Obstbäume zu pflanzen und fortan zu pflegen.

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Mit der Aufklärung und Liberalisierung der Gesellschaft wird auch der Obstanbau zum Allgemeingut, wenngleich auch noch allein zur Selbstversorgung uns abgesehen von regionalen Märkten nicht für den Handel. Um sich auch weiterhin vom Volk abzugrenzen, konzentriert sich der Adel nun darauf, seltene und veredelte Obstsorten zu sammeln und in kunstvollen Spalieren aufzuziehen.

Mit der industrieellen Revolution im 19. Jahrhundert entsteht in den wachsenden Städten eine große Nachfrage nach dem Nahrungsmittel Obst, was nun auf neuen Straßen und einem ausgebauten Schienennetz vom Erzeuger zum Verbraucher transportiert wird. Die Erfindung von mineralischem Dünger 1840 bewirkte eine enorme Ausdehnung der Anbauflächen und vor allem der Ernteerträge. Große, zusammenhängende Obstplantagen entstehen im Alten Land bei Hamburg, am Rhein bei Bonn, am Bodensee, in der Steiermark und in Südtirol, oft einhergehend mit Absatzgenossenschaften und Großmärkten. Der Großteil der Bauern hatte jedoch nach wie vor nur eine begrenzte Anbaufläche, die optimal genutzt werden musste. Daher ging man dazu über, Obstbäume locker auf Wiesen zu verteilen, um darunter gleichzeitig das Vieh weiden lassen zu können, oder entlang der Wege Obstbaumalleen anzulegen. In seltenen Fällen wurde unter verstreuten Obstbäumen auch Ackerbau mit Kartoffeln oder Gemüse betrieben.

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Im Jahr1860 wird der erste deutsche Pomologen-Verein gegründet, kurz danach entstehen vergleichbare Zusammenschlüsse in ganz Europa, die sich gegenseitig austauschen. In Deutschland zählt man nun allein über 2000 verschiedene Apfelsorten, worauf bereits 1890 von den Pomologen sogenannte Sortenempfehlungen ausgegeben und zur Vernichtung „unwerter“ Sorten aufgerufen wurde, was einen rapiden Rückgang der Sortenvielfalt einläutete. Diese Entwicklung fand in den 1950er Jahren ihren Höhepunkt mit der Bewilligung von Rodungsprämien für Obstbäume. Bis zu 80 Prozent der Streuobstwiesen fallen dem zum Opfer, Hochstammbäume sind nicht mehr gefragt und werden durch Niederstammkulturen ersetzt. Diese sind leichter zu pflegen und zu ernten, was den deutschen Handel wettbewerbsfähig halten soll. Innerhalb der EU sorgen Verordnungen und einheitliche Qualitätsstandards für einen weiteren Rückgang der Artenvielfalt.

Von 4500 beschriebenen Apfelsorten sind im Handel nur noch ein gutes Dutzend erhältlich. Die in Supermärkten maximal fünf angebotenen Sorten kommen zumeist aus Übersee. Dieser Fehlentwicklung will der 1991 neu gegründete Pomologen-Verein entgegenwirken. Er fördert die Neuanlage von Streuobstwiesen, will die alte Sortenvielfalt erhalten und deren Wiederverbreitung vorantreiben. Parallel dazu hat sich der Bio-Anbau zu einem stabilen Anbau- und Absatzmodell etabliert, welches erfolgreich der anfälligen Massenproduktion entgegentritt und dem Verbraucherwunsch nach mehr Geschmack und gesundem Inhalt statt makellosem Aussehen Rechnung trägt.

Somit braucht auch Herr Ribbeck von Ribbeck sich nicht mehr im Grabe umzudrehen, und die Kirschen in Nachbars Garten locken wieder wie eh und je mit Geschmack und Duft.

 

TEXT: Rainer Güntermann