SOLITÄRE SOLISTEN AUF DER MÖBELBÜHNE

Es kann so einfach sein: Sofa von X, Esstisch von Y, Schrankwand von Z. Und wenn X,Y und Z auch oft genug in einschlägigen Design-Zeitschriften abgebildet sind, kann man sich auf der sicheren Seite des Geschmacks wähnen. Die gefällige Einrichtung darf sich der wohlwollenden Kenntnisnahme der Gäste sicher sein, wohnt man ja schließlich genauso, weiß man doch selbst um Herkunft und Anschaffung. Um diesen aber ein Ah! und Oh! zu entlocken, bedarf es schon eines besonderen Ambientes. Hier ist eine Trüffelnase gefragt, um Einzelteile aufzustöbern, die aufgrund ihrer Nonkonformität ein Ausrufezeichen setzen. Lassen wir also einige Solisten vorsprechen.

Die 3+2+1 – Sitzgarnituren der 1970er bis 90er Jahre sind gottlob in der Möbelversenkung verschwunden und wurden ersetzt durch großflächige Polster-Ecken mit Sitz- und Liegevariationen, oder auch etwas dazwischen. Da sie oft optisch aus einem Guss erscheinen, ist es nun leichter, ihnen ein gepolstertes Familienmitglied an die Seite zu stellen. Einen großen Schalensessel mit Fußteil etwa, der auch genügend Seitenhalt für einen Schlüssel-Schlaf bietet, und aus dem man beschwerdefrei wieder in die Vertikale findet. Berühmte Klassiker der Moderne gibt es genügend, es lohnt sich aber auch, die Augen aufzumachen und nach Neuigkeiten Ausschau zu halten, die (noch) nicht in aller Munde, sprich Häuser, sind, aber aufgrund ihrer Extravaganz das Zeug zu ganz großen Auftritten haben. Die niederländische Firma Leolux zum Beispiel wurde für ihren Ohrensessel Caruzzo mit passendem Ottomanen bereits mit einem Reddot-Award ausgezeichnet.

Zurücknehmend filigran präsentieren sich die Varianten des Sessels Marquess von Jess-Design. Fühlt man sich geschmackssicher, reizt aber vielleicht auch die Anschaffung eines Vintage-Exemplares. Aufgrund seines Alters kann dieses sich das Recht herausnehmen, keinen Material- oder Farbbezug aufnehmen zu müssen. Ist das Thema Sitzlandschaft flächenmäßig noch nicht ganz ausgeschöpft, schaffen sogenannte Daybeds wie der Daydreamer von Jan Kath (ent)spannende Kontraste. Neben dem optischen Reiz bieten sie auch bei größerer Gästezahl zusätzliche Sitzmöglichkeiten in zwangloser Atmosphäre. Ein großes Tableau sorgt bei Bedarf für die nötige Standsicherheit von Gläsern, Kerzen und Gefäßen.

Auch das Thema Schrank hat sich längst von der Variante Stollenwand verabschiedet und offeriert Must Sees in verschiedenster Weise. Die unterschiedlich breiten, hohen und vor allem tiefen Module der Firma Montana lassen sich mit offenen und geschlossenen Elementen zu immer wieder neuen Schrank-Regal-Gebilden arrangieren. Darüber hinaus kann die mutige Farbpalette zusätzliche visuelle Akzente setzen. Als Vintage-Variante und Vorläufer dieser flexiblen Wandmöblierung fungiert immer noch das Regalsystem von String aus dem Jahr 1949, welches, sich selbst zurücknehmend, jedem Einrichtungsstil anpasst. Ebenso solitär und dennoch zeitlos sind strenge Biedermeiermöbel. Mit ihrer schlichten Eleganz, dem außergewöhnlichen Farbton von Kirsch- oder Birkenholz, oft in Verbindung mit schwarzen Elementen, lassen sie sich sehr gut mit Art-Deco-Möbeln oder geradlinigen Midcentury-Stücken aus den 1960er Jahren kombinieren. Mit etwas Mut kann man auch „standings“ setzen. Ein original Brautschrank aus China zum Beispiel vermag allein schon wegen seiner ochsenblutroten Farbe und dem plakativen Messingbeschlag ein Leuchtsignal in den Raum zu senden. Losgelöst von jedem Stil und jeder Mode und inzwischen auch auf dem hochwertigen Antiksektor anerkannt sind alte Bauernschränke, bei Belieben auch mit Bemalung. Ein solches Exemplar braucht jedoch Luft, sprich Abstand und keine weitere antike Konkurrenz. Selbst in einem Großstadt-Loft setzt solch ein Handwerks-Zeugnis einen interessanten Kontrast. Durch die Renaissance des Teppichs (siehe Aquis Casa Heft 7 und „Aktuelles“ in dieser Ausgabe) besteht auch in diesem Bereich die Möglichkeit, ein optisches Solo auf den Bühnenbrettern des Hauses darzubieten. Hierbei ist allerdings ein sicheres Händchen bezüglich Farbgebung und Musterung erforderlich. Je zurück­- haltender der Rest des Raumes ausgestattet ist, desto intensiver darf sich die Knüpfkunst präsentieren. Die Lichtgestalt auf diesem Sektor ist der Designer und Produzent Jan Kath mit seinen wagemutigen Teppich-Statements. Je markanter und auffälliger solch ein Exemplar ist, desto zurücknehmender muss allerdings dann eine etwaige Möblierung desselben zum Beispiel mit einem Tisch sein. Eine locker platzierte Dreiergruppe von materialminimierten Tabletttischen lässt gebührenden Platz für einen strahlenden Teppich-Auftritt. Ein schwieriges Terrain für Solitäre ist die Küche. Bei der geschlossenen Version mit eingeschränktem Platzangebot beziehungsweise einer reinen Kochküche erübrigt sich das Thema eigentlich von selbst. Eine offene Kochstation jedoch lässt schon mehr Spielraum zu. Das all-in-one-Prinzip der klassischen Einbauküche mit ihren Einheitsfronten wird immer mehr durchbrochen von variablen Technik-Modulen. Dies wiederum bereitet die Bühne für die Renaissance des Küchenschranks. Angelehnt, wenngleich nur in der Funktion, an die oft monströsen Möbel der Vor- und Nachkriegszeit des letzten Jahrhunderts, kommen die modernen Interpretationen nunmehr elegant und derart durchdesignt daher, dass sie sogar im geöffneten Zustand einen optischen Hingucker darstellen – vorausgesetzt sie werden nicht mit Souvenir-Kaffeebechern bestückt. Für Vintage-Liebhaber bieten sich metallene Vitrinen aus ehemaligen Arztpraxen oder Schauregale aus Geschäftsauflösungen an, die sich mit wenig Aufwand zu individuellen Möbel-Solisten mausern können. Hierbei sollte man aber nicht zuviel Restaurierungseifer walten lassen, da gerade die ureigene Patina das jeweilige Stück erst richtig interessant macht und nicht ein eintöniger Deckanstrich oder dergleichen. Beim Esstisch mit Bestuhlung wird das Thema Solitär zwangsläufig schon etwas schwieriger. Der Tisch, der allein schon wegen des möglichen Platz-Angebotes und nötigen Platz-Bedarfs auf strikte Vorgaben trifft, ist eigentlich nicht in seiner Gänze zu sehen. Daher beschränkt sich ein visueller Solo-Auftritt vor allem auf die Tischplatte beziehungsweise ihre Oberfläche. Diese wiederum hat jedoch nicht eine optische Komponente, sondern auch eine praktische. Eine bezüglich Lebensmittel pflegeleichte Oberfläche wie Glas oder Naturstein hat den Nachteil einer unangenehmen Kälte, eine hölzerne hingegen den der Fleck-Empfindlichkeit. Daher ist eine subjektive Entscheidung in dieser Richtung gewichtiger als jene für einen objektiven „Oh“-Effekt. Dem zumeist verdeckten Gestell, seien es ein zentraler Fuß oder vier Beine, ist ebenfalls eher aus praktischen denn aus augenfälligen Gründen Bedeutung zuzumessen. Will ich auch an einem oder beiden Kopfenden sitzen, benötige ich auch hier Beinfreiheit. Wieviel Abstand zwischen möglichen Pfosten benötige ich für wieviel bereits angeschaffte Stühle, ohne dass man sich beim Setzen oder Aufstehen die Finger quetscht? Die Bestuhlung als Solitär-Möbel zu betrachten, ist per se heikel. Die vielfach praktizierte Lösung „kann mich gar nicht entscheiden – ist alles so schön bunt hier“ frei nach Nina Hagen kann schnell zum Eigentor werden. Acht Stühle von acht Designern aus verschiedenen Dekaden und Materialien in ebenso vielen Farben ist kein Statement, sondern eher ein Hilferuf. Wenn man schon seinen Essplatz als Mini-Möbelmuseum präsentieren möchte, sollte man zumindest bezüglich der Farbe eine definitive Wahl treffen. Anders sieht es bei einer gewollten Farbinszenierung aus, die sich auf den gesamten Raum erstreckt. Dabei kann es durchaus reizvoll sein, ein Stuhlmodell in zwei bis drei Nuancen dieser Farbe auszuwählen, sei es bezüglich des Materials selbst oder eines mögliches Bezuges.

Alles in allem ist zu konstatieren, dass jede wohldurchdachte Einrichtung auch Solitäre vertragen kann, vielleicht erst durch sie zu einem spannenden Ganzen wird. Diese Solisten auf der Möbelbühne brechen im positiven Sinne das manchmal zu homogene Ambiente auf, verschaffen ihm Lockerung und Leichtigkeit. Dazu kommt, dass diese Möbel oft auch eine Geschichte haben, nicht nur wenn sie antik oder vintage sind. Gerade der Erwerb von Einzelstücken erinnert meist an einen besonderen Kaufanlass, einen bestimmten Fundort, ein Schnäppchen oder an ein sonstiges Erlebnis. Sie sind das Salz in der Suppe, das Tüpfelchen auf dem i, eben das gewisse Etwas.

 

 

 

 

TEXT: Rainer Güntermann

Fotos: Kettnaker, Skandium, bulthaup, WK