ALTE LUMPENFABRIK

Gang mit Fenstern

ALTE LUMPENFABRIK

Umnutzungen alter Fabrikgebäude gibt es zuhauf, aber ebenso häufig geht durch die dafür vorgenommenen Umbauarbeiten der Spirit dieser Gebäude verloren. Nicht so bei dieser Umwandlung zu einer Steuerberater-Kanzlei. Auch ein architektonischer Laie kann die Grenzen zwischen Alt und Neu nachvollziehen. Wir stellen Ihnen die bisher relativ unbekannten, weil unscheinbaren Hallen einmal von innen vor.

alte Aufnahme vom FabrikgebäudeWie so oft, beginnt auch diese Unternehmensgeschichte mit einem Firmengründer, der anfangs noch mit seinem Pferdewagen das Rohmaterial sammelte, um damit seine Geschäftsidee nach vorne zu bringen. Wie heute große Metallhandelsfirmen auf einen Anfang mit dem Aufsammeln von allerlei rostigem Schrott zurückblicken, so hat in diesem Fall ein gewisser Wilhelm Krückel zunächst alte Textilien zusammengetragen, um sie an Papierfabriken zur Weiterverarbeitung zu verkaufen. Schon bald kam der geschäftliche Erfolg und er investierte in ein relativ schlichtes Fabrikgebäude (Architekt: Paul Stollmann), zu dem inzwischen andere Sammler ihre Ware anlieferten. Mittels einer damals modernen Fahrzeugwaage wurde das Gewicht und dementsprechend der Preis für die angekaufte Ware ermittelt. In der Fabrik wurden sodann die Textilien nach Gewebearten sortiert, zu großen Ballen gepresst und mit Metallspiralen fixiert. Dank der Höhe der Hallen konnte man diese raumsparend stapeln, bis man sie wieder in großen Mengen an Papierfabriken zur Weiterverarbeitung verkaufte. Somit war Wilhelm Krückel ein Vorreiter des heutigen Recycling-Begriffs. Aber mit dem Einzug von Synthetikgeweben nach dem Zweiten Weltkrieg begann der langsame Untergang der im Haarener Volksmund „Lumpenfabrik“ genannten Firma.
Ansicht KüchenzeileNach umfangreichen Umbauarteiten im Jahr 2015 beheimatet der gesamte Gebäudekomplex seit Beginn dieses Jahres die neu gegründete Steuerberater-Partnerschaft „Handels-Hinze-Schütz“. Ganz im Gegenteil zum gar nicht einladenden Namen des Gebäudes empfängt den Besucher des großen, L-förmigen Backsteinbaus an der Friedenstraße in Haaren jetzt eine große Beton-Freitreppe mit einer ebenso großen, den Aufgang markierenden Stahl-Dachkonstruktion. Auffällig auf den ersten Blick sind auch die großen, den Vorgängern aus Eisen nachempfundenen Fenster, die in ihrer Einheitlichkeit wieder Ruhe in die vormals je nach Bedarf ausgeschnittene Fassadenfläche bringen. Die im Zuge der Umbaumaßnahmen zu einer Steuerberater-Kanzlei wieder geschlossenen Wandfelder sind trotz gleicher Farbigkeit jedoch noch wiederzuerkennen und dokumentieren somit ganz subtil den ordnenden Eingriff in die Bausubstanz.

Beim BetrEingangsbereich mit Stahlträger und Treppeeten des Gebäudes überquert der Besucher heute eine Brücke mit geschlossenem Geländer aus Stahlblech, die sich zwischen der Eingangsfassade und der Empfangshalle über eine breite Treppe aus gleichem Material als Zugang zum Untergeschoss spannt.
Wieder dient eine wuchtige Stahlträger-Konstruktion als räumliche Definierung des breiten Empfangsschalters, und lässt diesen unter der imposanten Deckenhöhe nicht verloren
erscheinen. Durch die geschickte Verlagerung des gesamten neuen Giebeldach-Paketes mit heutzutage notwendiger Dämmung etc. über die alten Eisen-Fachwerkträger konnten diese erhalten werden und bilden jetzt gemeinsam mit den neuen First-Oberlichtkassetten eine beeindrmoderner Empfangsbereichuckende Untersicht. Damit dieser Eindruck auch in den beiden langen Bürotrakten möglich ist, wurden die einzelnen Arbeitsräume wie Container links und rechts eines Erschließungsgangs aufgereiht. Auf diese Weise konnte im linken Fabrikflügel zudem noch mittig eine alte Säulenreihe aus Eisen erhalten werden, welche diesem Langraum darüber hinaus noch beinahe etwas Festliches verleiht. Selbst das Untergeschoss ist erstaunlich hell und einladend gestaltet worden. Auch dort begegnen uns wieder alte Materialien, die bewusst „brut“ belassen wurden, wie die wuchtigen Stahlträger und die Backsteinpfeiler. Die Trapez-Kappendecke aus Beton und „Funktionsinseln“ wie Besprechungs-Sofas, Teeküche, Meeting-Table etc. gliedern den langen Schlauch genauso wie die hier ebenfalls wieder aneinandergereihten Bürokammern mit verglasten Eingangswänden. Zusätzliches Licht bringt die ehemalige LKW-Rampe, die zugunsten eines kleinen, eingelassenen Hofes abgetragen worden ist.
Klare Strukturen, ablesbare Funktionen, ein homogenes Farb- und Lichtkonzept und die deutliche Ablesbarkeit von Historie und zeitgemäßen Baumaßnahmen sind das Markenzeichen dieser gelungenen Umnutzung alter Industrie-Architektur.

TEXT: Rainer Güntermann

FOTOS: Holger Schupp, Archiv Familie Krückel