Auf dem Teppich bleiben

layout-1-52-53

Auf dem Teppich bleiben

Wer bei Teppichen nur an die Stolperbrücken von den Großeltern denkt, ist nicht mehr auf dem neuesten Stand. In den letzten zwei Dekaden hat sich das Angebot auf diesem Einrichtungssektor gewaltig gewandelt. Damit sind nicht etwa neue Modelle der in Deutschland so beliebten Auslegeware gemeint, auch nicht psychodelisch gemusterte Wuschelteppiche aus Synthetikfasern, sondern hochwertige Neuinterpretationen von orientalischen Vorbildern aus hochwertigen Naturmaterialien, welche auch mit modernsten Einrichtungskonzepten harmonieren. Wir stellen Ihnen einige Beispiele dieser neuen Vertreter traditioneller Knüpfkunst vor und beleuchten auch deren Historie.

jan_kath_side_shot_01

Als erster nachweislicher, geknüpfter Teppich gilt der in der Sankt Petersburger Eremitage ausgestellte Pasyryk-Teppich, benannt nach seinem Fundort im südsibirischen Altai-Gebirge an der Grenze zur Äußeren Mongolei. Er wird auf etwa 500 Jahre vor Christus datiert und ist aufgrund seiner Eiskonservierung im Permafrostboden einer Grabstätte bis zu seiner Entdeckung 1947 sehr gut erhalten. Entstanden ist die Knüpfkunst wohl in Zentralasien, wo die Nomadenstämme mehr Schutz in den strengen Wintern brauchten, als dies die Felle ihrer Tiere erlaubte. Schafswolle und Ziegen- oder Kamelhaare wurden auf liegenden, mobilen Webstühlen verarbeitet, die leicht ab- und woanders wieder aufzubauen waren. Zunächst sind es aber vornehmlich sogenannte Wirkteppiche aus Flachgewebe, bei denen die Kett- und Schussfäden miteinander verflochten wurden. Sie bildeten Alltagsgegenstände wie Satteltaschen, Eingangsvorhänge zur Jurte oder Säcke, die beim Weiterziehen schnell aufgerollt und verpackt waren. Beispiele sind die bekannten Kelims, die aufgrund dieser Webart von beiden Seiten gleich aussehen. Im Laufe der Jahre gewann auch der schmückende Aspekt Bedeutung, und Knüpfteppiche, bei denen zusätzlich Woll- oder Seidenfäden eingeknotet wurden, bildeten repräsentative Statussymbole und waren oft der wertvollste Besitz. Einzelne Stämme entwickelten ihre eigenen Muster und Farbkompositionen, die nach der jeweiligen Herkunft, der sogenannten Provenienz, benannt wurden. Der Vergleich mit schottischen Tartans oder europäischen Familienwappen ist nicht abwegig.

Erste Exemplare ins Abendland brachte Alexander der Großen gegen 330 vor Christus von seinen Asienfeldzügen mit, und ab 710 nach Christus gründeten die Mauren auf der iberischen Halbinsel rund um Cordoba und Granada eine regelrechte Industrie für Teppiche nach orientalischen Stil. Im 16. Jahrhundert erreichte die orientalische Teppichkunst an den Hofknüpfschulen der Perser und Inder einen ersten Höhepunkt. Aufgrund der Vergänglichkeit der Materialien sind aber nur wenige Exemplare erhalten. Aufschluss geben aber Gemälde aus der Zeit, die in ihrer Detailverliebtheit auch Teppiche als Wand- oder Bodenschmuck zeigen. bangkok_004_v1_4500159-tabrizcanalrocked_navyblue-neonpinksilkZudem ist die Architektur mit ihren Ornamenten und Mosaiken ein wichtiger Zeitzeuge, da die Baumeister sich von den grafischen oder floralen Mustern der Teppiche inspirieren ließen. Orientteppiche können aber nicht nur aus Indien oder dem Iran kommen. Auch die Türkei, der Kaukasus, Pakistan und Afghanistan zählen zu den Produktionsländern. Weitere Teppiche kommen aus China, Nepal und der Mongolei, dazu die Berberteppiche aus der Maghreb-Region. Der Teppichflor, der nach dem Einknoten mittels einer einfachen Handschere auf gleiche Höhe geschoren wird, variiert je nach Knüpftradition. Je feiner die eingeknüpften Fäden sind, desto flacher ist später der Flor. Der größte handgeknüpfte Teppich stammt aus dem Iran und misst 6000 Quadratmeter, der feinste ist ein Seidenteppich aus der Türkei mit 625 Knoten auf einem Quadratzentimeter. Heute aber werden viele Teppiche als Kopien bestimmter Provenienzen hergestellt, sei es aufgrund niedrigerer Löhne in Nachbarländern, sei es aufgrund von ausgestorbener Knüpfkultur wegen des Fundes von Erdöl und somit besseren Verdienstmöglichkeiten in dieser Industrie.
Die erwähnten Wirkteppiche gelangten im 17. Jahrhundert in Frankreich mit den Gobelins zu neuer Blüte, aber auch im belgischen Gent, Brügge und Brüssel. In England spezialisierte man sich zur gleichen Zeit auf die Produktion von geometrisch gemusterten Teppichen nach anatolischen und floralen Exemplaren nach persischen Vorbildern. Hier wurde auch 1785 das erste Patent auf einen mechanischen Webstuhl angemeldet.

bangkok_010_4600019_serapiqueensburysky_brownredsilkWurden bis circa 1850 nur pflanzliche oder tierische Materialien zum Färben benutzt, kamen nun vermehrt synthetische Farbstoffe zum Einsatz.
In Deutschland fasste gegen Mitte des 19. Jahrhunderts die Teppichherstellung Fuß, die aber von Werk zu Werk sich auf andere Produktionsarten spezialisierte. Einige Betriebe schafften es, handgeknüpfte und künstlerisch außerordentlich wertvolle Teppiche herzustellen, die den Originalen in Nichts nachstanden. Bekannte Vertreter sind die Vereinigte Smyrna-Teppichfabrik AG in Cottbus, die Barmer Teppichfabrik Vorwerk & Co in Wuppertal oder die Firma Gebrüder Schoeller in Düren. Es entstand auch eine weitere Art der Teppichherstellung, das Tuften. Hier werden nicht einzelne Fäden in die Kette geknotet, sondern Fadenschlingen dicht nebeneinander eingebracht und später aufgeschnitten – getuftet. Statt Wolle wurde aber nunmehr vermehrt Baumwolle verarbeitet, nach dem Zweiten Weltkrieg sogar immer mehr Synthetikgarn. Auch das Aussterben des Nomadentums, das Sesshaftwerden, führte im 20. Jahrhundert zu gewaltigen Veränderungen auf dem Teppichmarkt.
In den 1950er Jahren erlangten hochwertige Orientteppiche nach Originalvorlagen und aus edlen Materialien wieder Luxusstatus und wurden nicht nur dicht nebeneinander auf Parkett und Naturstein gelegt, sondern auch gerne auf die neumodische Auslegeware. Junge Leute bekämpften kurze Zeit später zwar den Muff unter den Talaren, ‚alte Perser’ aber waren willkommene Unterlagen für ihre Matratzenlager, und nicht wenige Hippies kannten sie ja auch von ihren Trips nach Indien und Nepal.
Dort war auch der Sohn eines alteingesessenen Bochumer Orientteppichhändlers unterwegs, allerdings nicht beruflich, denn er wollte mit dem elterlichen Geschäft nichts zu tun haben, fand Orientteppiche uncool und spießig. Aber als ihm das Geld ausging, nahm er einen Job bei einem Freund und Lieferanten seines Vaters in Kathmandu als Warenkontolleur an. Die Teppiche holten ihn, Jan Kath, wieder ein, und er fand Gefallen daran. Nach Stationen unter anderem in Ulan Bator in der Mongolei kehrte er nach Bochum zurück, inzwischen mit Frau und Kindern. In einer Zeit, wo in seiner Heimat keiner mehr Orientteppiche haben wollte, kaufte er die Firma seines ehemaligen Arbeitgebers, und nach einigen Anfangsschwierigkeiten mit klassischen Tibetteppichen entdeckte er die gestalterischen Möglichkeiten, die die Knüpfkunst bietet. Zwanzig Jahre später lässt Jan Kath in verschiedenen Ländern wie Nepal, Indien, Türkei und Marokko anfertigen, von hunderten erfahrenen Knüpfer(inne)n – ohne Kinderarbeit, mit Fair-Trade-Siegel, in zentralen Werkstätten mit Kinderhort, Krankenstation und Arbeiterunterkünften. Er lässt aus Brennesselfasern, Seide und handversponnener Hochlandwolle nach eigenen, immer wieder verblüffenden Entwürfen qualitativ höchstwertige Teppiche knüpfen, die natürlich ihren Preis haben. Aber zu seiner Klientel zählt inzwischen auch das Who is Who der weltweiten Celebreties.

frwl_3Längst hat er das Genre des Orientteppichs gesprengt: Seine Exemplare lassen die Muster der Provenienzen noch erahnen, auch Fransen dürfen sein, zum Beispiel in pink, aber die Oberflächen scheinen sich wie nach einem Salzsäurebad aufzulösen, dreidimensionaler Flor verführt zum Streicheln, wie auf Gemälden ist das Auge permanent auf Entdeckungsreise.
Im Zuge der Teppich – Renaissance sind einige Hersteller dazu übergegangen, namhafte Künstler mit einem Entwurf für einen außergewöhnlichen Teppich zu beauftragen, der dann in Serie hergestellt wird und oft zur neuen Identität der Firma beiträgt. Längst werden Jan Kaths Teppich-Revolutionen aber für den Massenmarkt einfach nur kopiert. Dies bezieht sich natürlich mehr auf die Optik, die mal mehr, mal weniger gekonnt, mal mehr, mal weniger dreist adaptiert wird. Hinsichtlich Qualität und Aufwändigkeit in der Herstellung dagegen wird nur sehr selten das Vorbild erreicht. Es gilt daher auch hier: Eine Kopie ist eine Kopie ist eine Kopie. Das Original hingegen ist unverwechselbar, das gilt für einen alten Orientteppich genauso wie für einen Jan Kath.

jan_kath_m03_rover

TEXT: RAINER GÜNTERMANN
FOTOS: Jan Kath