DIE GESCHICHTE DER EINBAUKÜCHE

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Es gibt deutsche Wörter, die so eindeutig wie unübersetzbar sind: Auslegeware oder Kindertagesstätte und: Einbauküche. Seit der Nachkriegszeit steht dieser Begriff für Modernität, Pflegeleichtigkeit, Arbeitsoptimierung und Platzminimierung. Was waren die Vorläufer, und wie ist es um ihre Zukunft bestellt? Wir beleuchten Historie und aktuelle Trends.

Einbaukueche

Nie zuvor gab es so viele Kochshows im Fernsehen, Kochzeitschriften im Handel, Internetforen über das Kochen und Werbekampagnen mit sogenannten Promi-Köchen, die scheinbar mehrere Alter-Egos beschäftigt haben. Sonst wäre die gleichzeitige Anwesenheit im Fernsehen, bei Charity- und Sponsoren-Veranstaltungen, auf Buchvorstellungen und beim Tischrundgang mit blütenweißer Kochjacke in den oft mehreren eigenen Restaurants nicht möglich.

Gleichzeitig erobern Convenience-Produkte immer mehr Regalmeter in den Supermärkten und Discountern. Nimmt die Fettleibigkeit stetig zu, und gibt es immer aufwändigere Küchenmaschinen, die ganze Herstellungsprozesse in einem Arbeitsgang erledigen. Jede technische Neuerung findet sofort Anwendungsmöglichkeiten in der Küche. Stichwort „Intelligenter Kühlschrank“, der mittels einer eingebauten Kamera permanent einen Einkaufszettel diktiert. Wahrscheinlich ist bei Erscheinen dieses Artikels die Technik schon so weit fortgeschritten, dass das Kühlgerät automatisch beim örtlichen Versanddienst eine Nachlieferung in Auftrag gegeben hat, die täglich in die gekühlte Poststation im Vorgarten geliefert wird.

Die Frankfurter Küche

Diese zeitliche Kopplung von Fortschritt und Umsetzung in die Küchenpraxis ist aber vergleichsweise noch jung. Gab es Anfang des 19. Jahrhunderts bereits in den Großstädten Gasnetze für Straßenbeleuchtung, so dauerte es noch bis zum Ende desselben Jahrhunderts, bis Gas auch für Kochzwecke in den Haushalten genutzt wurde. Gleichzeitig schritt die Elektrifizierung mächtig voran und löste die Gaslampen immer mehr ab, aber erst kurz vor dem Zweiten Weltkrieg hielten elektrisch betriebene Herde großflächig Einzug in die Küchen moderner Häuser. In der Folge nahm dann die Zeitspanne zwischen Innovation und praktischer Umsetzung immer mehr ab.

 

Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Kücheneinrichtung nur wenig kueche-22Aufmerksamkeit gewidmet. Warum auch, waren doch fast ausnahmslos Männer mit der Bau- und Einrichtungsplanung beschäftigt, die wiederum mit Haushaltsaufgaben rein gar nicht in Berührung kamen. In vornehmen Häusern waren die Küchen zudem dem Personal vorbehalten und befanden sich häufig im Souterrain in geruchs- und lärmabsorbierender Distanz zum Speisesaal. Allenfalls in der Reisegastronomie, Stichwort Bahnwagon oder Zeppelinküche, kümmerte man sich um Küchen­arbeitsplatz-Optimierung.

Bedingt durch die voranschreitende Industrialisierung strömten aber auch immer mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt, weswegen zumeist ihre Arbeit in der Küche rationalisiert werden musste. Die gesellschaftlichen Umwälzungen brachten auch nahezu revolutionäre Ideen hervor wie die der Zentralküche in Mehrparteienhäusern, verwirklicht in einigen neuen Berliner Arbeitersiedlungen. Durchsetzen konnte sich diese Lösung aber nicht. Jedoch war das Thema Küchenplanung nun kein Nischenthema mehr. Der Bauboom der Zwanziger Jahre mit ganzen Siedlungen und zum Teil neu geschaffenen Stadtteilen forderte standardisierte Konzepte.

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Taylorismus war das Zauberwort. Die exakte Vermessung von Arbeitsabläufen auch in der Küche. Wie lange dauert welche Arbeit? Wie lang sind die Wege während der Arbeit? Wie oft muss die Frau sich bücken, wie oft strecken? Vorläufer daraus resultierender Küchenkonzepte gab es bereits in den Musterhäusern des Bauhauses. Der große Durchbruch aber gelang der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky mit der von ihr entwickelten Kompaktküche auf exakt 6,5 Quadratmetern, die im Zuge der gewaltigen Neubaumaßnahme „Neues Frankfurt“ 1926 vorgestellt wurde und daher später als „Frankfurter Küche“ zum Inbegriff von Funktionalität und Arbeitsoptimierung bei gleichzeitig hohem Anspruch an die Ästhetik wurde.

Keine wahllos aneinander gereihten Einzelmöbel mehr, sondern ein zusammenhängendes Möbel mit einer tiefer liegenden Platte zum Arbeiten im Sitzen vor dem Fenster. Darin eingelassen ein Abfallloch mit Behälter darunter, über und neben einer Doppelspüle zum Vor- und Endreinigen Abtropfgestelle zum gleichzeitigen Lagern. Handliche Aluminium-Schütten für alltägliche Lebensmittel, lackierte Fronten in blau-grün, weil diese Farbe von Fliegen gemieden wird und vieles mehr.

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Lag die Herstellung anfangs noch bei 500 Mark, konnten die Kosten aufgrund der riesigen allein in Frankfurt eingebauten Stückzahlen auf weniger als die Hälfte gesenkt werden. Da aus Platz- und Kostengründen auf Rückwände bzw. Seitenenden verzichtet wurde, konnten sie bei einem Ausbau nicht weiterverwendet werden und wurden schlichtweg bei Umbauarbeiten entsorgt. Nur wenige Exemplare sind noch erhalten. Die in diversen Museen weltweit gezeigten Küchen sind zumeist Rekonstruktionen.

Zeitgleich zur deutschen Entwicklung erarbeitete auch in Schweden eine Frau, Sara Reuterskiöld, ein neues Küchenkonzept. Auch ihr ging es um Arbeitsplatzoptimierung und Funktionalität in der Küche. Die Frau sollte weniger Zeit in der Küche, dafür mehr mit ihrer Familie verbringen. Im Gegensatz zu Deutschland erfuhr die Weiterentwicklung aber keine Unterbrechung durch den Zweiten Weltkrieg. Bereits Anfang der 1940er Jahre erarbeiteten verschiedene Institute eine nicht mehr vom Tischler vor Ort zusammen zu bauende, sondern vereinheitlichte und vorgefertigte Einbauküche. Ein erster Maß-Standard für die als Schwedenküche bezeichneten Küchenmöbel wurde 1948 festgelegt. In den 1960er und 1970er Jahren erfolgten Anpassungen, die noch heute international Gültigkeit haben und auf einem Grundmodul von 60 x 60 x 90cm beruhen. Ein in den 1950er Jahren entwickeltes Schweizer Maßsystem mit einer abweichenden Breite von 55cm konnte sich international nicht durchsetzen, ist aber parallel immer noch auf dem Markt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hielten neue Materialien Einzug und der Begriff der Pflegeleichtigkeit wurde zur Maxime der neuen Einbauküchen-Generation. Mit Resopal beschichtete Spanplatten für Fronten und Arbeitsflächen ersetzten Naturmaterialien, der Fliesenspiegel zwischen Unter- und Oberschränken wurde Standard. Auch unter dem Einfluss des auflebenden Feminismus’ wurden die kleinen und schmalen Zubereitungsküchen aber immer mehr als Verbannung und Isolation der Hausfrau gebranntmarkt, und die Gegenbewegung der Modulküche trat auf den Plan.

kueche-09Protagonist war in den 1980er Jahren der Designer Otto „Otl“ Aicher mit seinen Büchern gegen das „Diktat der Einbauküche“. Offene oder Wohn-Küchen waren nun das Maß der Dinge. Mit Einzelmöbeln, Mut zur Lücke, offenen Regalen für Utensilien und einer Umgebung, die wieder Lust auf das Kochen machen sollte. Geräte aus der Profi-Gastronomie bereicherten das Instrumentarium, ebenso Edelstahl nicht nur für die Spüle. Aber auch Naturholz kehrte wieder zurück und unterstrich die Zugehörigkeit der Küche zum restlichen Wohnbereich. Kochinseln – auch dies eine Adaption aus der gewerblichen Küche – ermöglichten völlig neue Grundrisse. Man kochte nun mit dem Gesicht zur Familie beziehungsweise den Gästen, der Arbeitsvorgang selbst wurde zum Bestandteil eines Essens und unterbrach es nicht mehr.

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Seit der Jahrtausendwende kommt nun auch jede technische Errungenschaft direkt in Form von Ausstattungs­neuerungen zum Einsatz. Damals beginnend mit selbst abtauenden Kühlschränken über selbstreinigende Öfen und Oberflächen mit Lotuseffekt. Inzwischen sind es das Lebensmittel erkennende und sich selbst einstellende Bratröhren, eine drahtlos vernetzte Elektronik, die ich mit meinem Smartphone von überall aus kontrollieren, bedienen und regeln kann. Bildschirme nicht nur zur Rezeptelektüre, Arbeitsflächen mit integrierten Geräten aus einem Guss oder hauchdünne Beton- und Steinoberflächen auf Trägermaterial als Fronten.

Alles stylisch, alles offen arrangiert und einladend wohnlich oder in Reih und Glied hinter sich automatisch schließenden Lamellen verborgen und puristisch. Bei der Küchenplanung müssen sich alle Haushaltsmitglieder umfangreiche Gedanken machen, was ihnen wichtig ist. Technisch, optisch und auch aufteilungsmäßig. Ein genaues Aufmaß der baulichen Gegebenheit ist ebenso Voraussetzung wie die Information über Materialien. Virtuelle Planungsspiele am Computer können hilfreich bei der Visualisierung sein, ersetzen aber nicht informative Beratungsgespräche mit Fachleuten. Küchenplanern, Innenarchitekten, Elektrikern, Installateuren oder auch das Sammeln von Erfahrungsberichten anderer.

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Denn: Alles ist möglich – nicht alles ist nötig.

 

TEXT: Rainer Güntermann

FOTOS: SIEMATIC MÖBELWERKE / www.siematic.com, Jonathan savoie, amk