NOBBI´S ZÜNDELHÖLZER



Am Eingang zum Atelier erwarten uns gleich zwei Nice Guyes: Der allgegenwärtige Käpten Nobbi in Form eines freundlich dreinblickenden Affen, gemalt auf Holz, und sein lebendiger Schöpfer, der Stolberger Künstler Paul Sous. Um es direkt vorweg zu schicken: Nicht verwandt oder verschwägert mit der Würselner Künstler-Dynastie um Albert Sous. Das Pseudonym ist aber nicht gewählt, um diese Assoziation erst gar nicht zuzulassen, sondern stammt noch aus der Street-Art-Periode des Künstlers, in der ein Phantasiename gleichsam die Visitenkarte war und ist. Aber bei Paul Sous ist die Namensgebung noch etwas komplexer. Schon als kleines Kind träumte er von einem Affen als Haustier. Lebend, nicht als Plüschtier. Da dies natürlich auf elterliches Unverständnis stieß, musste er mit Letzterem vorlieb nehmen. Und mit Büchern über Affen, und mit Bildern und mit Postern und allem, was ihm mit seiner Affenliebe in die Hände kam. Als er dann später eine Abbildung von einem Affen im Matrosenoutfit sah, war ihm klar, dass sein Affe in Zukunft auf jeden Fall ein Käpten sein sollte, und zwar in Primaten-Schriftform. Der Namenszusatz Nobbi war dann einem anderen Zufall geschuldet. Seitdem ist Paul Sous Käpten Nobbi und Käpten Nobbi Paul Sous.

 

Wer meint, er müsse zuhause mal wieder gründlich aufräumen, war noch nicht in Paul Sous’ Atelier. Für so manchen Ordnungsliebhaber mag es ein optischer Alptraum sein, für entdeckungsfreudige Stöberseelen (wie mich, d.V.) ist es das wahre Paradies. Man mag sich gar nicht ausmalen, was es sicherlich auch noch hinter oder unter diesen ganzen offen-sichtlichen Fundstücken zu entdecken gibt. Wunderbar. Dabei hat die Grundeinstellung von Käpten Nobbi ja auch durchaus auch noch einen umweltpolitischen Sinn: „Nicht wegschmeißen, da kann man noch was mit machen“ ist sein kreatives Credo. Es geht ihm nicht nur darum, künstlerisch tätig zu sein, sondern dabei auch die Lebensdauer von eigentlich in der primären Nutzung abgelaufenen Gegenständen zu verlängern, ihnen also ein zweites Leben einzuhauchen. Nicht direkt, aber irgendwann. Dann, wenn es passt. In dieser Situation zu wissen, wo genau man nachgucken muss, um das Asservat zu finden, das zeugt von weitaus mehr Organisationstalent, als ein Bücherregal nach irgendwelchen philatelistischen Kriterien einzuräumen. Nobbi schafft das. Wo genau liegt das Holzbrett mit der bestimmten Patina, die exakt zu dem beabsichtigten Motiv passt? Eine neue, makel- aber auch ausdruckslose Platte vom Stapel nehmen kann jeder. In welcher Kiste sind die ausgeschnittenen Wortschnipsel, die in diesem Moment für eine Collage benötigt werden? Nobbi findet sie, und nebenbei noch Anderes. In lockerem Plauderton erzählt Paul Sous bei unserem Atelierbesuch von seinem ersten Bild, für das er 50 DM (Deutsche Mark) in einem Sparschwein bekommen hat. Da war er in der dritten Grundschulklasse in Stolberg und hatte den 2.Platz bei einem Malwettbewerb der damaligen Aachener Volksbank gemacht. „An diesem Tag hat es bei mir „Klick“ gemacht, und ich wusste, dass ich Kunst machen will.“ Später auf der Gesamtschule in Eschweiler absolvierte er zwei Schulpraktika in der Deko-Abteilung eines großen Möbelhauses und in einer Werbetechnikfirma und produzierte nebenbei bereits Aufkleber und T-Shirts mit Schablonenbildern für sich und Freunde. Alles im Nachhinein schon sehr vorausschauend festgehalten auf Fotos und Videos. Nach seiner Ausbildung zum Schilder- und Lichtreklamehersteller traute Paul Sous sich mit 20 Jahren erstmals, seine Arbeiten auf der Kunstroute „Kunst auf dem Weg“ 2010 in Stolberg der breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Seinen eigenen Weg ging er beharrlich weiter, indem er zunächst sein Fachabitur in Gestaltung am Berufskolleg in Aachen abschloss und danach ein Studium im Fach Handwerksdesign an der Akademie Gut Rosenberg der Handwerkskammer Aachen (siehe auch AQUIS CASA Heft 9) absolvierte, welches er 2017 mit Examen und einem Designpreis sehr erfolgreich beendete. Im selben Jahr entschloss sich nunmehr Käpten Nobbi, seiner Leidenschaft weiter zu folgen und sich als Künstler selbständig zu machen, nachdem er bis dato seit seiner ersten Präsentation bereits fast 80 Einzel- und Gruppenausstellungen gemacht hatte. Immer wieder entdecken wir während des Gesprächs beim ungezielten Umherschauen neue Versatzstücke, welche irgendwann einmal ihren Einsatz hatten oder noch auf eine besondere Verwendung warten. Und immer ist es diese eigentlich ernste Botschaft, die mit einem Augenzwinkern daherkommt und den Be­trachten- den verständnisvoll schmunzeln lässt, die aber umso eindringlicher nachwirkt. Zum Beispiel beim kreisrunden Kaugummi-Objekt. Nur relativ kurz im Genuss, jedoch jahrelang auf Gehsteigen und somit auch unter Schuhen klebend, haben Kaugummis eine große Diskrepanz zwischen Verwendungs- und Lebensdauer. Also ließ Paul Sous unzählige bunte Kaugummikugeln von Freunden und Verwandten kauen und die ausgespuckten Exemplare sammeln, klebte die nunmehr blassbunten Relikte dicht an dicht auf einen runden, rosa umrandeten Spiegel seiner Oma und schuf ein aus der Entfernung harmlos süßliches Objekt, was erst beim näheren Betrachten und Erkennen eine Gefühlswende beim Betrachtenden bewirkt, nämlich einen leichten Ekel. Dann ist da der Einkaufswagen des Marken-Discounters NOBBI, gefüllt mit vermeintlich bekannten Konsumgütern. Nach und nach bemerkt man die optische Irreführung durch reine Adaption der Verpackung und Schreibweise: Die Lebkuchenpackung ist jetzt von Nobbi-Printen, daneben Aachen-Brand-Zwieback oder die Dosentomatensuppe von Captain Nobbi. Da sind die kleinen Tetrapack-Milchtüten, die ohne Beschriftung in unschuldigem Weiß , aber mit Drahtärmchen und –beinchen und rosa Tütü auf einer alten Spieldose ihre balletöse Runde drehen. Oder sie stehen mit Flokati beklebt als Lämmer auf einer Wiese und trinken mit Strohhalm aus einem Bach. Und immer wieder der lieb dreinblickende Affe als variiertes Schablonenbild auf Holzbretter gesprüht, der aber mal einen mit Helium gefüllten Ballon oder einen funktionierenden Wandleuchter haltend, mal ein Kaugummi aufblasend, zu einem 3D-Kunstwerk wird.

Von all diesen Eindrücken immer wieder aufs Neue abgelenkt, vergessen wir fast unsere obligatorischen 10 Fragen an den Künstler zu stellen. Aber Paul Sous und sein Alter Ego Käpten Nobbi nehmen sich bereitwillig Zeit zur Beantwortung.


Wieviel Anteil hat Käpten Nobbi inzwischen von Paul Sous übernommen?
Am Anfang war der Affe „Käpten Nobbi“. Er ist ich und ich bin er. Wir beflügeln uns gegenseitig und verstehen uns richtig gut. Mit ihm habe ich meine ersten Ausstellungen gemacht und ihn (und mich) somit unter die Leute gebracht. Im Laufe der Jahre entwickelte ich neue und unterschiedliche Bildmotive. „Käpten Nobbi“ ist als Name, als Label geblieben. Er ist auch immer mit dabei.

Kann man als Künstler unter einem Alias-Namen unbefangener arbeiten?
Die Frage kann ich gar nicht beantworten. Ich habe keine Erfahrungen damit, unter meinem eigenen Namen zu präsentieren. Der Affe „Käpten Nobbi“ erzählt die Welt aus seiner Sicht. Ihn kann ich die Dinge viel primitiver und glaubwürdiger vermitteln lassen. Er ermöglicht mir viele gute Spielräume. Alle meine Werke entstehen aus meiner Lust am Spielerischen. Insofern passt der Nobbi gut.

Können Sie sich vorstellen, auch als Paul Sous künstlerisch tätig zu werden?
Ich habe schon mal darüber nachgedacht, wie das wohl wäre. Was sich bis dahin verändert hätte und was sich dadurch verändern würde. Mag sein, dass sich das irgendwann mal ergibt oder entwickelt. Aber bis jetzt habe ich noch keine Veranlassung dazu verspürt. Paul Sous ist mit „Käpten Nobbi“ im Reinen.

Sie sind sehr vielseitig kreativ unterwegs. Gibt es Lieblings-Materialien oder -Ausdrucksformen?
Es gibt sehr viele Materialien, die ich interessant finde. Solche, die sich gut bearbeiten, verändern und für meine Zwecke (zweckentfremdend) einsetzen lassen. Am liebsten solche, die schon eine Geschichte haben. Diese bringen dann schon eine erzählerische Komponente mit. Vieles finde ich einfach. Beim Sperrmüll, auf dem Werkstoffhof oder sonst wo. Ich entscheide immer sehr spontan und aus dem Bauch raus, was ich mitnehme. Kuriose Dinge, Holzplatten oder andere Materialien, die manchmal monatelang herumliegen, bevor sie zur Gestaltungsidee werden. Ich mag aber auch Müll- und Milchtüten und andere Dinge des täglichen Gebrauchs. Form, Farbe oder Beschaffenheit müssen geeignet sein, einen neuen, anderen Blick auf was auch immer auszudrücken und zu vermitteln.

Ihr Atelier ist ein Paradebeispiel für das vielzitierte „kreative Chaos“. Wissen Sie bei einer neuen Idee noch, ob Sie zur Realisierung was und vor allem wo zwischengelagert haben?

Getreu meinem Motto „Nicht wegschmeißen, da kann man noch was mit machen“ kann man sich vorstellen, wie es in meinem Atelier aussieht. Ja, es ist ein „kreatives Chaos“ und genauso muss es sein. Diese Atmosphäre inspiriert mich. Wenn ich etwas suche, weiß ich zumindest meistens die richtige Himmelsrichtung. Wenn nicht, finde ich beim Kramen oft etwas Vergessenes, was ich dann auch wieder gut gebrauchen kann. Wenn das Chaos zu krass wird, räume ich auch gerne mal wieder auf … und finde dabei… .

Seit 2017 ist „Käpten Nobbi“ hauptberuflich tätig. Gibt es dadurch Zwänge, die ihn in seiner Arbeit in irgendeiner Weise einschränken?
Mein ganzes Leben lang wollte ich immer schon Kunst machen. Die Selbstständigkeit bringt neben der wunderbaren Selbstbestimmung natürlich auch Umstände mit sich, die manchmal anstrengend sind. Social-Media, Organisation und Ausrichtung von Ausstellungen, Buchhaltung und nicht zuletzt meine kleine Familie kosten viel Zeit. Oft ist es nicht leicht, alles unter einen Hut zu bekommen. Ich frage mich ab und zu, ob es möglich ist, dass mir die Ideen und die Kraft ausgehen könnten. Das wäre ein echter Zwang. Zum Glück glaube ich da nicht dran.

Sie haben nicht nur eine abgeschlossene Ausbildung, sondern auch ein sehr erfolgreich absolviertes Studium an der Akademie Gut Rosenberg in Aachen-Horbach hinter sich. Ist Ihnen als ehemaligem Street-Art-Künstler ein derartiger solider Hintergrund wichtig?
Ich male, frickele und baue mir meine eigenen kleinen Welten, seit ich denken kann. Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Die Zeit als Street-Art-Künstler war eine weitere Stufe, meinem Bedürfnis nach persönlichem Ausdruck nachzukommen. Dass ich dieses in meiner Ausbildung zum Licht– und Reklamehersteller und in meinem Studium als Handwerksdesigner ausbauen konnte, hat sich eher glücklich gefügt. Viele Elemente, die ich in diesen Ausbildungen erlernt bzw. entwickelt habe, finden sich in meinen Werken wieder. Ich profitiere sehr von diesem „soliden Hintergrund“.

Die Kurzfilme auf Ihrer Internetseite sind sehr professionell und eindrucksvoll gemacht. Wie wichtig sind Ihnen die heute verfügbaren Medien in Bezug auf Ihre Tätigkeit?
Ohne die Medien läuft sowieso gar nichts. Hier präsentiere ich meine Kunst, promote meine Ausstellungen, knüpfe und pflege Kontakte. Es macht mir großen Spaß, kleine Videos und Storyboards für bevorstehende Ausstellungen zu entwickeln und anschließend ein Making-of oder einen After-Teaser zu drehen.

Ich bin sehr glücklich über die tolle, nicht nur mediale Vernetzung, die wir in Aachen und Umgebung haben. Es gibt viele gute Leute, die sich gegenseitig unterstützen. Für die Kurzfilme treffe ich mich meistens mit meinem Freund, dem Fotografen Paul Trienekens. Wir tauschen uns aus und entwickeln Ideen, probieren alles aus, was machbar ist. So lange, bis wir beide zufrieden sind.

Ist „Käpten Nobbi“ die logische Folge einer konsequent verfolgten künstlerischen Laufbahn oder gab es auch andere Berufsvorstellungen?
Ab irgendeinem Punkt gibt es diese logische Folge. Es war klar, dass ich einen Beruf ausüben wollte, in dem ich kreativ arbeiten kann. Ursprünglich wollte ich „Darsteller für visuelles Marketing“ werden. Da hat es aber mit der Lehrstelle nicht geklappt. Der „Licht- und Reklamehersteller“ war Plan B. Die Vorstellung, mein ganzes Berufsleben lang Busse zu bekleben und auf Häuserdächern herum zu klettern, war allerdings nicht wirklich mein Traum. Wohin mich mein Studium auf Gut Rosenberg führen würde, wusste ich damals noch nicht.

Gibt es bestimmte Orte, an denen Sie sich inspirieren lassen, oder passiert das immer und
überall im täglichen Leben?
Es passiert tatsächlich hauptsächlich immer und überall im Leben!

Paul Sous, Käpten Nobbi, vielen Dank für das Gespräch und eure Gastfreundschaft!

 

TEXT: Rainer Güntermann

FOTOS: Paul Sous | Paul Trienekens | Marcello Vercio