Der Mulchmaler

Ich kann mich gar nicht entscheiden – ist alles so schön bunt hier“ – Nina Hagens verzückter Ausruf in dem Song TV-Glotzer scheint auch einigen Hobby-Landschaftsgärtner(inne)n in den Kopf zu schießen, wenn sie in ihrem Lieblingsbaumarkt vor den zahlreichen Musterflächen von Mulchsorten, Häckselholzspänen, Kieseln, Marmor- oder Granitbröckchen stehen und auswahlüberfordert verharren. Der Begriff „Colour-Blocking“ aus der Modewelt ist dabei allem Anschein nach kein Auswahlkriterium. Ganz im Gegenteil. Möglichst viele unterschiedliche Colorationen werden eingekauft, damit auch der Boden unter und zwischen den in allen Farbtönen leuchtenden Ziergewächsen entsprechend mithalten, oder besser gesagt, farblich noch eins draufsetzen kann. Um alle erworbenen Materialien überhaupt einsetzen zu können, wird auf der Fläche eines Gästetuches mithilfe von wiederum farbigen Trennstreifen versucht, eine barocke Gartenlandschaft à la Schloss Schönbrunn anzulegen, wenngleich statt einer Kutschen-Vorfahrt nur eine lediglich Bobby-Car-geeignete Fahrspur um eine aufgepropfte Hochstammrose machbar ist. Damit ob der Vielfarbigkeit vielleicht irritierte Besucher nicht von der vorgegebenen Wegfarbe abkommen, geleiten ihn solarbetriebene Minileuchtpiekser in allen verfügbaren Plexiglascolorationen zum Eingangportal. Ist das Mulch-Kiesel-Bild als Grundriss fertiggestellt, begibt sich der künstlerisch ambitionierte Vorgarten-Architekt an den weiteren Ausbau, welcher sich nicht selten zu einem Dekorationswettbewerb unter den direkten Nachbarn ausweitet. Mal liegen kaputte römische Amphoren wie nach einem Erdbeben im Kies, mal mäandern nach griechischem Vorbild bunte Primeln durch den Mulch. Auch halbierte Haustiere, von denen nur gewisse Extremitäten aus den bunten Bröseln ragen, rangieren weit oben auf der Beliebtheitsskala.
Ist die erste Jahreshälfte noch geprägt von der unbändigen Kreativität des Mulchmalers, so birgt die zweite Halbzeit die Gefahr von depressiven Stimmungstiefs, nämlich dann, wenn erste Blätter von irgendwelchen Bäumen in den Nachbargärten zunächst nur vereinzelt, nach und nach aber vermehrt einfach auf die Farbfelder wehen und dort mühsam und behutsam aufgesammelt werden müssen – Blatt für Blatt. Sicherlich wird es nicht mehr lange dauern, bis die ersten Malen-nach-Zahlen-Vorgärten mit großen, engmaschigen Netzen überspannt werden, um dieser Willkür der Natur Einhalt zu gebieten.… zum Artikel

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Funktion ohne Funktion

Funktionskleidung

Kaum sind die Waldwege wieder frostfrei, die Feierabende nicht mehr ganz so dunkel und die Atemluft nicht mehr gar so eisekalt, sehen wir wieder taucherähnliche Geschöpfe in extra-slim-fitten Ganzkörper-Überziehern ihre Runden laufen. Mitleidsvoll Anteil nehmende Autofahrer bekommen die gleichen Blicke der Durchtrainierten wieder zurück und erleiden umgehend Bauchschmerzen aufgrund des aggressiv nagenden schlechten Gewissens. So weit – so gut, würde es nur bei den morgendlichen oder abendlichen Begegnungen im Grüngürtel bleiben. Aber auch sonntags früh beim Bäcker findet ein frisch geduschter Kunde in, sagen wir, gängiger Kleidung sich wieder zwischen martialisch anmutenden Athleten in einem Outfit, welches einen veritablen Triathlon noch vor dem Frühstückscroissant erwarten lässt, zuweilen legen aber Auge und Nase die Vermutung auch nahe, er sei schon vorbei. Einer Kriegsbemalung gleich zieren überall neonfarbene Leuchtstreifen die hautenge Verhüllung, um das ohnehin eingeschüchterte Umfeld nachhaltig zu beeindrucken. Ist für die kommenden acht Stunden auch nur im Promillebereich des Möglichen feuchter Niederschlag oder eine Brise im einstelligen Kilometer-pro-Stunde-Bereich angesagt, hält die Funktions-Oberbekleidung auch Einzug in das alltägliche Straßenbild, um jederzeit gegen alle Widrigkeiten eines Stadtbummels gewappnet zu sein. Aufdrucke mit Windstopper-Formeln und Wassersäulen-Grade werden gern als Information, aber zugleich auch als Beeindruckung des Gegenübers wie tätowiert auf Brust oder Ärmel getragen. Um einer Verwechslung oder Personenfahndung im einheitlichen Schwarz-Grau-Beige der so verkleideten Asphalt-Athleten vorzubeugen, wird auch gern eine farblich mutige Partnerausstattung gewählt, die den Wetterkampf im City-Dschungel direkt leichter und lustiger angehen lässt. Mit einem entspannten Lächeln gehe ich derweil ins Parkhaus und besteige mein saharataugliches SUV mit Elchfänger vorn, Weitwinkelstrahlern auf dem Dach und 50 Liter-Reservekanister am Heck, um mich nach dem Kauf von einem Deospray im Drogeriemarkt wieder auf den asphaltierten Heimweg zu machen. Dabei geht mir die Feststellung einer deutschen Kabarettistin durch den Kopf: Funktionskleidung im Alltag ist die Menopause der Oberbekleidung…

Text: Rainer Güntermann

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Der Wurst Toaster

 

glosse-36-37Na, auch schon Platz gemacht? In der Küche meine ich, schließlich muss man rechtzeitig Vorsorge treffen für all die innerhalb des letzten Jahres neu auf den Markt gekommenen Must-haves der Elektrogeräte.

Bekommt die weibliche Haushaltshälfte von unverbesserlich einfallslosen Weihnachtsmännern vielleicht noch elektrische Haushaltshilfen in Form von Staubsaugern oder Fensterdampfstrahlern geschenkt, freut sich das emanzipierte männliche Pendant inzwischen für seine sporadischen Herdbesuche über Küchenmaschinen mit einem Telefonbuch-dicken Zusatzgerätekatalog.

All-in-one-Schneidmixkochback-Automaten mit dem Sound einer ebenfalls schon immer gewünschten Harley Davidson oder Aufsatz-Kochfelder mit neuester Hitze-Elektronik, die zwar das 36-teilige Kupferkessel und –pfannen-Set vom letzten Geburtstag unbenutzbar machen, aber ohne diese unabdingbare Innovation kann man(n) halt keine Freunde mehr zum veritablen Steakessen einladen.

Da stehen sie nun ehrfurchteinflößend aufgereiht wie eine einsatz- und angriffswütige Maschinen-Armee.

Bis Ostern darf der neue Elektro-Fuhrpark ja auch noch dichtgedrängt auf der Arbeitsfläche stehen, um gnadenlos täglich benutzt zu werden. Schließlich scheinen nun keine Rezepte mehr ohne ihren unbedingten Einsatz zu einem halbwegs essbaren Ergebnis zu führen. Ist aber dann jeder Ausstattungszusatz schon mehr als dreimal zum Einsatz gekommen, nehmen die top-designten Weihnachtspräsente des Vorjahres fast heimlich und von selbst den Weg in frei gekramte Restflächen der – je nach Gewicht – Ober- oder Unterschränke oder gar Kellerregale. Dort fristen sie ungeachtet ihrer Nutzungsvielfalt dennoch nutzlos ihr dunkles Dasein. Oft platzsparend halb auseinandergebaut und verschachtelt gestapelt, weswegen eine neuerliche Verwendung erst recht in die hinterste Gedankenecke rutscht. Aber allein die Tatsache, zu wissen, dass man dieses oder jenes Gerät im eigenen Ausstattungslagerbestand hat, lässt die Rezeptwahl völlig entspannt angehen. Keine noch so komplexe Vor- oder Zubereitungsart zwingt zum enttäuschten Weiterblättern.

Mögen Profiköche in ihren kleinen Küchen noch mit einer handvoll Messern werkeln, kann der Ausstattungsprofi auf eine Geräte-Armada zurückgreifen, die Mitstreiter vor blitzblankem Neid erblassen lässt. Bleibt nur das kleine Problem, dass, zu wissen, dass man es hat, nicht automatisch heißt, zu wissen, wo man es hat.… zum Artikel

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SOFORTREINIGER

Sofortreiniger

 

Was waren das noch für Zeiten, als Besen, Handfeger und Kehrblech noch ein eingeschworenes Reinigungsteam bildeten. Immer griffbereit, lautlos und geruchsneutral.

Heute hängt bestenfalls über der Küchenarbeitsplatte, schlimmstenfalls neben dem Esstisch der Akku-Handstaubsauber als – weil farblich abgestimmt- zusätzliches Dekoelement an der Wand. Auch im Dunkeln ist er dank der Aufladeleuchte stets schnell und sicher zur Hand. Beginnen nach einigen Monaten die aufgesaugten Lebensmittelreste ein buntes und bewegtes Eigenleben im durchsichtigen Müllbehälter, bieten sie einen weiteren optischen und bei Inbetriebnahme auch nasalen Anreiz.
Anders im Bad: Während der Studenten-WG-Zeiten war zwar jede zum Überleben unbedingt notwendige Säuberungsmaßnahme in seitenlangen Putzplänen aufgelistet, natürlich geschlechtsneutral, paritätisch und postergleich stets augenfällig am Infobrett aufgepint, der Duschvorhang jedoch durfte langsam, aber stetig Kolonien von Bakterien und Keimen in seinen feuchten Falten ansiedeln. Allmählich aufsteigende Schleimfahnen sorgten je nach Shampoofarbe für colorative Akzente zum Einheitsweiß oder –beige der Kacheln. Mögliche Geruchsprobleme wurden einfach weggeschäumt, und beim Zur-Seite-Schieben war das vermeintliche Problem sowieso aus den Augen und aus dem Sinn.

Heute aber müssen wir zum Duschen trotz pizza-großer Brauseköpfe die doppelte Zeit einplanen, da wir nach erfolgtem Wellness-Refreshing die hier stets griffbereite Fensterflitsche zur Hand nehmen müssen, um die riesigen Glaswände der begehbaren Dusch-Zelle, ach, was sag’ ich, Dusch-XXL-Vitrine abzuziehen. Da gibt es kein Pardon. Drohend wie ein Colt im Schaft eines Cowboys hängt das Gummigerät direkt zwischen Wasserthermostatventil und Edelstahlgitterkorb mit Pflegeartikeln. Dabei könnten sich langsam verdichtende Kalktropfen auf den bruchsicheren Glaspaneelen ähnlich wie Hamilton-Fotos eine fantasieanregende, diffuse Silhouette duschender Körper ermöglichen. Aber das After-Shower-Fitness-Workout ist uns wie das Zähneputzen zum morgendlichen Ritual geworden. Zumindest hierbei wird auch der eingefleischte Hausarbeitsmuffel zum emanzipierten Putzmann.

 

Text: Rainer Güntermann

Foto: A.R. / pixelio.de

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GRILL AS GRILL CAN

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Sie: „Aah – Sommer – wie schön – die Grillen!“ Er: „Wie – ich riech’ nichts!“

Bestimmt kennen Sie diesen Kalauer, aber er ist jedes Jahr wieder aufs Neue aktuell: Der evolutionsbedingte Sammler und Jäger verfällt bei Außentemperaturen etwas oberhalb des Gefrierpunktes unwillkürlich in das feuermachende Steinzeitgeschöpf und lässt kein – heutzutage natürlich gekauftes – Lebensmittel mehr den Weg vom Kühlschrank direkt auf den Herd nehmen, sondern leitet es über Zwischenstationen wie Marinadepool, Wickelecke oder Füllstoff zum Grillzentrum weiter.

Hier wird alles auf den Rost verb(r)annt, was nicht bei drei hinter der Hecke ist. Nichts ist vor der Nahrungsmittel-Sonnenbank sicher. Es wird gegrillt, dass sich die Roste biegen, und der Nachbar grillt zurück! Rauchsäulen, wohin man schaut, in Anzahl und Dichte in den Abendstunden derart zunehmend, dass der Regionalflughafen in der Nähe seinen Flugverkehr wegen mangelnder Sicht einstellen muss. Die Feinstaubmessgeräte an den Messstellen implodieren und auch weniger empfindliche Menschen suchen mit Atembeschwerden die Notaufnahmen auf.

Beschränkte sich früher das Grillgut auf Fleisch oder – bei exotischen Feinschmeckern – auch Fisch, entzieht der emanzipierte Grillmaster den Küchenknecht(inn)en auch noch die Beilagen-Grundausstattung wie Kartoffeln und Gemüse, um diese zu marinieren, zu wickeln, zu füllen und und und.

Hauptsache, er behält mit Gabel und Zange die Oberhand über die Speisenfolge. Bleiben der eigentlich besseren Hälfte nur noch das Betätigungsfeld Blattsalat und Getränke. Ach nein, die übernimmt der Hausherr ja auch noch mit links. Außer Mineralwasser natürlich. Denn nicht nur der Grill als solcher ist hochgerüstet worden mit Gas und Kohle, Haube und low-cooking-area, Temperaturfühlern und Über-Dach-Rauchrohren, sondern im Zuge des unausgesprochenen Nachbarschafts-Wettbewerbes ist Mann selbstverständlich inzwischen auch stolzer Besitzer einer mobilen Bar mit Kühlung, Zapfanlage, Weinklimaschrank und elektrischem Icecrusher. Wäre die Luft nicht sowieso schon „dicht“, käme nach dem Essen eine Zigarre aus dem integrierten Humidor zu Pass.

 

Text: Rainer Güntermann

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