Videoüberwachung des Grundstücks zulässig?

Marc Soiron

Marc Soiron

Fachanwalt für Miet- & Wohnungseigentumsrecht

Das Amtsgericht Gemünden hatte sich mit einem nunmehr immer häufiger auftretenden Problem, nämlich der Videoüberwachung eines Privatgrundstückes, zu beschäftigen. Die Parteien des Rechtsstreits waren Grundstücksnachbarn bei leichter Hanglage. Das Grundstück der Beklagteneigentümer lag etwas oberhalb des Grundstücks der Kläger. Die Beklagten hatten zwei Videoüberwachungskameras fest an der Gebäudewand in ca. 2 m Höhe installiert. Eine automatische bzw. funkferngesteuerte Veränderung der Ausrichtung der Kameras war nicht möglich. Ihr Sichtfeld war nach Angabe der Beklagten auf ihr Grundstück beschränkt. Die Kläger fühlten sich jedoch durch die beiden Kameras beobachtet und behaupteten im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens, dass die Kameras auch ihr Grundstück erfassen würden. Ferner wären die Kameras für jedermann zu erkennen, sodass sie sich auch einem gewissen „Überwachungsdruck“ ausgesetzt sahen, der einen unzulässigen Eingriff in ihre allgemeinen Persönlichkeitsrechte darstelle. Die Kläger behaupteten zudem, die Kameras wären durch die Beklagten nur deshalb aufgehängt worden, um sie zu ärgern. Mit ihrer Klage verfolgten sie die Feststellung, dass die Beklagten es zu unterlassen hätten überhaupt Überwachungskameras aufzuhängen, die vom klägerischen Grundstück aus zu sehen seien.

Das Amtsgericht Gemünden wies die Klage mit Urteil vom 28.07.2017 – 11 C 187/17 – ab, nachdem es durch eine persönliche Inaugenscheinnahme vor Ort Beweis erhoben hatte. Hierbei wurde durch Einsicht in die von den Kameras erfassten Bereiche festgestellt, dass die Kameras entgegen der Behauptung der Kläger nur das Grundstück der Beklagten erfassten. Allerdings wurde im Rahmen des Ortstermins ebenfalls deutlich, dass die Kameras vom Grundstück der Kläger aus zu sehen waren. Im Rahmen der Entscheidungsgründe nahm das Amtsgericht zunächst einmal Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 10.03.2016 – VI ZR 176/09), wonach die Videoüberwachung von öffentlich zugänglichen Bereichen mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Einzelnen kollidiert und daher ohne konkreten Anlass grundsätzlich unzulässig ist. Die Überwachung eines Privatgrundstückes, ohne dass dabei die Chance besteht, dass Personen im öffentlichen Raum aufgenommen werden, ist hingegen grundsätzlich zulässig. Danach waren die Kameras nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht verwarf auch die Argumentation der Kläger, wonach alleine die grundsätzliche Sichtbarkeit der Videokameras zu einem unzulässigen „Überwachungsdruck“ führen würde. Eine auf diesen Punkt gestützte Unzulässigkeit der Videoüberwachung käme allerhöchstens dann in Betracht, wenn konkrete Umstände vorgetragen würden, die es nachvollziehbar erscheinen ließen, dass die installierten Videokameras als Mittel der Druckausübung auf einen Nachbarn installiert worden wären. Dies konnten die Kläger nach Auffassung des Gerichtes jedoch nicht nachvollziehbar darlegen. Die Entscheidung des Amtsgerichts Gemünden zeigt die Grenzen der privaten Videoüberwachung auf. Ein Grundstückseigentümer kann grundsätzlich seinen eigenen Grund und Boden mittels Kameras überwachen, sofern der Nachbar oder öffentliche Wege durch die Ausrichtung der Kameras nicht erfasst werden. Etwas anderes gilt allerdings für die Eigentümer von Mehrfamilienhäusern. Hier ist das Aufhängen von Videokameras auf dem eigenen Grundstück nicht erlaubt, wenn nicht sämtliche Mieter ihr diesbezügliches Einverständnis erklärt haben. Zusätzlich wird vielfach gefordert, dass auf die Videoüberwachung hingewiesen werden muss. Der Eigentümer eines Mehrfamilienhauses kann sich also nicht ohne weiteres auf den Schutz seines Privateigentums berufen, wenn er durch die Vermietung von Wohnungen einen „Verkehr“ von Mietern und deren Besuchern im Treppenhaus eröffnet.

TEXT: Marc Soiron

SOLITÄRE SOLISTEN AUF DER MÖBELBÜHNE

Es kann so einfach sein: Sofa von X, Esstisch von Y, Schrankwand von Z. Und wenn X,Y und Z auch oft genug in einschlägigen Design-Zeitschriften abgebildet sind, kann man sich auf der sicheren Seite des Geschmacks wähnen. Die gefällige Einrichtung darf sich der wohlwollenden Kenntnisnahme der Gäste sicher sein, wohnt man ja schließlich genauso, weiß man doch selbst um Herkunft und Anschaffung. Um diesen aber ein Ah! und Oh! zu entlocken, bedarf es schon eines besonderen Ambientes. Hier ist eine Trüffelnase gefragt, um Einzelteile aufzustöbern, die aufgrund ihrer Nonkonformität ein Ausrufezeichen setzen. Lassen wir also einige Solisten vorsprechen.

Die 3+2+1 – Sitzgarnituren der 1970er bis 90er Jahre sind gottlob in der Möbelversenkung verschwunden und wurden ersetzt durch großflächige Polster-Ecken mit Sitz- und Liegevariationen, oder auch etwas dazwischen. Da sie oft optisch aus einem Guss erscheinen, ist es nun leichter, ihnen ein gepolstertes Familienmitglied an die Seite zu stellen. Einen großen Schalensessel mit Fußteil etwa, der auch genügend Seitenhalt für einen Schlüssel-Schlaf bietet, und aus dem man beschwerdefrei wieder in die Vertikale findet. Berühmte Klassiker der Moderne gibt es genügend, es lohnt sich aber auch, die Augen aufzumachen und nach Neuigkeiten Ausschau zu halten, die (noch) nicht in aller Munde, sprich Häuser, sind, aber aufgrund ihrer Extravaganz das Zeug zu ganz großen Auftritten haben. Die niederländische Firma Leolux zum Beispiel wurde für ihren Ohrensessel Caruzzo mit passendem Ottomanen bereits mit einem Reddot-Award ausgezeichnet.

Zurücknehmend filigran präsentieren sich die Varianten des Sessels Marquess von Jess-Design. Fühlt man sich geschmackssicher, reizt aber vielleicht auch die Anschaffung eines Vintage-Exemplares. Aufgrund seines Alters kann dieses sich das Recht herausnehmen, keinen Material- oder Farbbezug aufnehmen zu müssen. Ist das Thema Sitzlandschaft flächenmäßig noch nicht ganz ausgeschöpft, schaffen sogenannte Daybeds wie der Daydreamer von Jan Kath (ent)spannende Kontraste. Neben dem optischen Reiz bieten sie auch bei größerer Gästezahl zusätzliche Sitzmöglichkeiten in zwangloser Atmosphäre. Ein großes Tableau sorgt bei Bedarf für die nötige Standsicherheit von Gläsern, Kerzen und Gefäßen.

Auch das Thema Schrank hat sich längst von der Variante Stollenwand verabschiedet und offeriert Must Sees in verschiedenster Weise. Die unterschiedlich breiten, hohen und vor allem tiefen Module der Firma Montana lassen sich mit offenen und geschlossenen Elementen zu immer wieder neuen Schrank-Regal-Gebilden arrangieren. Darüber hinaus kann die mutige Farbpalette zusätzliche visuelle Akzente setzen. Als Vintage-Variante und Vorläufer dieser flexiblen Wandmöblierung fungiert immer noch das Regalsystem von String aus dem Jahr 1949, welches, sich selbst zurücknehmend, jedem Einrichtungsstil anpasst. Ebenso solitär und dennoch zeitlos sind strenge Biedermeiermöbel. Mit ihrer schlichten Eleganz, dem außergewöhnlichen Farbton von Kirsch- oder Birkenholz, oft in Verbindung mit schwarzen Elementen, lassen sie sich sehr gut mit Art-Deco-Möbeln oder geradlinigen Midcentury-Stücken aus den 1960er Jahren kombinieren. Mit etwas Mut kann man auch „standings“ setzen. Ein original Brautschrank aus China zum Beispiel vermag allein schon wegen seiner ochsenblutroten Farbe und dem plakativen Messingbeschlag ein Leuchtsignal in den Raum zu senden. Losgelöst von jedem Stil und jeder Mode und inzwischen auch auf dem hochwertigen Antiksektor anerkannt sind alte Bauernschränke, bei Belieben auch mit Bemalung. Ein solches Exemplar braucht jedoch Luft, sprich Abstand und keine weitere antike Konkurrenz. Selbst in einem Großstadt-Loft setzt solch ein Handwerks-Zeugnis einen interessanten Kontrast. Durch die Renaissance des Teppichs (siehe Aquis Casa Heft 7 und „Aktuelles“ in dieser Ausgabe) besteht auch in diesem Bereich die Möglichkeit, ein optisches Solo auf den Bühnenbrettern des Hauses darzubieten. Hierbei ist allerdings ein sicheres Händchen bezüglich Farbgebung und Musterung erforderlich. Je zurück­- haltender der Rest des Raumes ausgestattet ist, desto intensiver darf sich die Knüpfkunst präsentieren. Die Lichtgestalt auf diesem Sektor ist der Designer und Produzent Jan Kath mit seinen wagemutigen Teppich-Statements. Je markanter und auffälliger solch ein Exemplar ist, desto zurücknehmender muss allerdings dann eine etwaige Möblierung desselben zum Beispiel mit einem Tisch sein. Eine locker platzierte Dreiergruppe von materialminimierten Tabletttischen lässt gebührenden Platz für einen strahlenden Teppich-Auftritt. Ein schwieriges Terrain für Solitäre ist die Küche. Bei der geschlossenen Version mit eingeschränktem Platzangebot beziehungsweise einer reinen Kochküche erübrigt sich das Thema eigentlich von selbst. Eine offene Kochstation jedoch lässt schon mehr Spielraum zu. Das all-in-one-Prinzip der klassischen Einbauküche mit ihren Einheitsfronten wird immer mehr durchbrochen von variablen Technik-Modulen. Dies wiederum bereitet die Bühne für die Renaissance des Küchenschranks. Angelehnt, wenngleich nur in der Funktion, an die oft monströsen Möbel der Vor- und Nachkriegszeit des letzten Jahrhunderts, kommen die modernen Interpretationen nunmehr elegant und derart durchdesignt daher, dass sie sogar im geöffneten Zustand einen optischen Hingucker darstellen – vorausgesetzt sie werden nicht mit Souvenir-Kaffeebechern bestückt. Für Vintage-Liebhaber bieten sich metallene Vitrinen aus ehemaligen Arztpraxen oder Schauregale aus Geschäftsauflösungen an, die sich mit wenig Aufwand zu individuellen Möbel-Solisten mausern können. Hierbei sollte man aber nicht zuviel Restaurierungseifer walten lassen, da gerade die ureigene Patina das jeweilige Stück erst richtig interessant macht und nicht ein eintöniger Deckanstrich oder dergleichen. Beim Esstisch mit Bestuhlung wird das Thema Solitär zwangsläufig schon etwas schwieriger. Der Tisch, der allein schon wegen des möglichen Platz-Angebotes und nötigen Platz-Bedarfs auf strikte Vorgaben trifft, ist eigentlich nicht in seiner Gänze zu sehen. Daher beschränkt sich ein visueller Solo-Auftritt vor allem auf die Tischplatte beziehungsweise ihre Oberfläche. Diese wiederum hat jedoch nicht eine optische Komponente, sondern auch eine praktische. Eine bezüglich Lebensmittel pflegeleichte Oberfläche wie Glas oder Naturstein hat den Nachteil einer unangenehmen Kälte, eine hölzerne hingegen den der Fleck-Empfindlichkeit. Daher ist eine subjektive Entscheidung in dieser Richtung gewichtiger als jene für einen objektiven „Oh“-Effekt. Dem zumeist verdeckten Gestell, seien es ein zentraler Fuß oder vier Beine, ist ebenfalls eher aus praktischen denn aus augenfälligen Gründen Bedeutung zuzumessen. Will ich auch an einem oder beiden Kopfenden sitzen, benötige ich auch hier Beinfreiheit. Wieviel Abstand zwischen möglichen Pfosten benötige ich für wieviel bereits angeschaffte Stühle, ohne dass man sich beim Setzen oder Aufstehen die Finger quetscht? Die Bestuhlung als Solitär-Möbel zu betrachten, ist per se heikel. Die vielfach praktizierte Lösung „kann mich gar nicht entscheiden – ist alles so schön bunt hier“ frei nach Nina Hagen kann schnell zum Eigentor werden. Acht Stühle von acht Designern aus verschiedenen Dekaden und Materialien in ebenso vielen Farben ist kein Statement, sondern eher ein Hilferuf. Wenn man schon seinen Essplatz als Mini-Möbelmuseum präsentieren möchte, sollte man zumindest bezüglich der Farbe eine definitive Wahl treffen. Anders sieht es bei einer gewollten Farbinszenierung aus, die sich auf den gesamten Raum erstreckt. Dabei kann es durchaus reizvoll sein, ein Stuhlmodell in zwei bis drei Nuancen dieser Farbe auszuwählen, sei es bezüglich des Materials selbst oder eines mögliches Bezuges.

Alles in allem ist zu konstatieren, dass jede wohldurchdachte Einrichtung auch Solitäre vertragen kann, vielleicht erst durch sie zu einem spannenden Ganzen wird. Diese Solisten auf der Möbelbühne brechen im positiven Sinne das manchmal zu homogene Ambiente auf, verschaffen ihm Lockerung und Leichtigkeit. Dazu kommt, dass diese Möbel oft auch eine Geschichte haben, nicht nur wenn sie antik oder vintage sind. Gerade der Erwerb von Einzelstücken erinnert meist an einen besonderen Kaufanlass, einen bestimmten Fundort, ein Schnäppchen oder an ein sonstiges Erlebnis. Sie sind das Salz in der Suppe, das Tüpfelchen auf dem i, eben das gewisse Etwas.

 

 

 

 

TEXT: Rainer Güntermann

Fotos: Kettnaker, Skandium, bulthaup, WK

WILLSOSEIN DER ETWAS ANDERE ATELIERBESUCH

„Ist das denn auch Kunst?“ – Mit dieser Frage sieht sich Barbara Geier, Architektin und Künsterin und verantwortlich für die künstlerische Organistion, häufig konfrontiert, wenn es um die Arbeiten der Ateliergemeinschaft „Willsosein“ der Lebenshilfe Aachen Werkstätten und Service GmbH geht, die allesamt von unterschiedlich geistig und/oder körperlich eingeschränkten Menschen stammen. Wir halten uns in der folgenden Reportage an den Satz von Joseph Beuys: Jeder Mensch ist ein Künstler. Und daher reden wir an dieser Stelle auch von Künstlern und ihren künstlerischen Arbeiten. Ohne Wertung, aber vor allem ohne die „Beltracchi-Frage“: Wer macht was im Stil von wem?

Fast lautlos im Gegensatz zu dem Gewusel auf den Gängen geht es in der Künstlerwerkstatt zu. Konzentriert sitzen die Mitglieder an ihren Arbeiten und lassen sich auch durch unseren Besuch nicht weiter stören. Nur Jürgen Kirschbaum ist aufgestanden, um sich vor der Tür die Beine zu vertreten. Mit 54 Jahren ist er fast der Älteste der insgesamt 12 kreativen Künstler, von denen viele seit der Gründung der Kunstwerkstatt vor nunmehr 10 Jahren dabei sind. Das Stehen an der Staffelei fällt ihm zusehends schwerer, weswegen er auch von seinen großen, abstrakten Bildern mit ihren leuchtenden Farbflächen immer mehr Abstand nimmt und sich mehr und mehr kleinen Architekturzeichnungen in schwarz-weiß widmet, bei denen er durch Verzerrungen und Verfremdungen ganz neue Perspektiven schafft, ohne den Wiedererkennungswert zu schmälern. Er ist auch der Einzige, der somit zweigleisig fährt und zuweilen parallel arbeitet. Anderen KünstlerInnen ist dies nicht ohne weiteres möglich, wie uns Frau Geier erläutert.

Um in die Kunst-Werkstatt aufgenommen zu werden, können Interessierte vorab ein Praktikum im Atelier durchlaufen, um zu zeigen, wo ihre Fähigkeiten und Geschicklichkeiten liegen, wie ihre Kreativität entwickelt ist und vor allem, ob sie einer dauerhaften Tätigkeit überhaupt gewachsen sind. Denn es geht hierbei um einen regelrechten Arbeitsplatz, an dem täglich –zum Teil in Vollzeit- wirklich gearbeitet wird, nicht körperlich hart, aber anspruchsvoll kreativ im jeweilig möglichen Rahmen. Wie bemerkte schon Karl Valentin so treffend: Kunst ist schön – macht aber viel Arbeit. Die begleitenden Betreuer mit künstlerischem Berufshintergrund schauen dabei immer wieder, ob die Ateliermitglieder mit ihrer Technik und ihrem Werkzeug zurecht kommen, ob vielleicht andere Materialien oder Ausdrucksformen ausprobiert werden sollten. Sie verzichten dabei auf gezielte Lenkung, lassen kreative Freiräume, greifen aber behutsam ein, wenn eine Arbeit zu kippen droht. Dann wird abgelenkt, eine Pause gemacht, mal abgeschaltet und mental aufgebaut. Soziale Förderung erfahren sie dabei auch durch HeilpädagogInnen. Um dieses Vorgehen, manchmal auch verbunden mit behutsamer Kritik, überhaupt möglich zu machen, bedarf es einer sozialen Sicherheit und Geborgenheit, verbunden mit großem, gegenseitigen Vertrauen, was sich aber im Laufe der Jahre aufgebaut hat und den KünstlerInnen auch ein gehöriges Quantum an Selbstbewusstsein verschafft hat. „Jeder Pinselstrich sitzt“ war denn auch der Lieblingssatz eines inzwischen ausgeschiedenen Mitglieds, wie Frau Geier schmunzelnd berichtet.

Durch regelmäßige Workshops zu verschiedenen Techniken werden die Mitglieder darin gefördert, ihren eigenen künstlerischen Ausdruck zu finden oder auch zu verändern. Carolin Rinker malt und zeichnet zur Zeit zwar immer noch weibliche Figuren und Formen, collagiert aber mit linearen Mustern selbstbestickte Stoffe in die Bilder und übermalt diese weiter. „Farbe ist nicht mehr mein Ding“ bestätigt auf Nachfrage Daniel Abrahamjan, ein autistischer Künstler mit akribisch aufgeräumtem Arbeitstisch. Zeichnete er früher expressionistische Kleinporträts mit gewaltiger Ausdruckskraft in Ölpastellkreide, widmet er sich jetzt ganz der Landschaftsmalerei in Grafit. Die unterschiedlichen Tiefen erreicht er dabei nicht mit groben Schraffuren, sondern mit unzähligen feinsten Bewegungen seiner akkurat gespitzen Stifte. Gertrud Grotenklas ist noch einen Schritt weiter gegangen und hat sich von der Malerei fast ganz verabschiedet. Sie hat ihr handwerkliches Geschick wiederentdeckt und formt aus feinen Metallfäden durch Verflechtungen und Verknotungen dreidimensionale Hohlkörper, denen sie oft vor der Verschließung gleich einer Verpuppung noch eine „weiche“ Füllung gibt. Magische Cocons sind das Ergebnis.

 


Viorel Chirea, selbst ein bekannter Künstler aus Aachen, kam vor einigen Jahren als künstlerischer Begleiter in diese Einrichtung und erzählt von seinen Erfahrungen und Erlebnissen. „Hier weißt du nie was passiert, wie eine Arbeit endet. Das macht die Arbeit so spannend und interessant.“ Bei Auftragsarbeiten, die in seltenen Ausnahmefällen angenommen werden, ist dies ein manchmal unberechenbarer Faktor. Ein Künstler, der derlei Aufgaben ausführen kann, ist Tosh Maurer. Er hat sich der Kalligraphie verschrieben. Seine Arbeiten bestehen aber nicht aus gefälligen Kalendersprüchen in Grußkartenformat, sondern er summiert Buchstaben, Schriftzeichen, Wörter und Sätze zu fast geometrischen Gebilden. Leichte Farbigkeit und eingearbeitete Zeitungs- und Buchschnipsel komplettieren sich zu einem graphischen Ganzen. Viorel ist überhaupt begeistert von den verschiedenen Herangehensweisen jeder der einzelnen KünstlerInnen. Annika Sachtleben zum Beispiel zeichnet ganze Geschichten auf ein einziges Blatt. Mit zarten Linien schwarz auf weiß webt sie ein Netz von surrealistischen Figuren und Alltagsgegenständen, deren zusammenhängende Bedeutung sie auf Nachfrage sofort erläutern kann. Mit jedem Zeichenstrich spinnt sie gleichermaßen die Geschichte weiter zu einem komplexen Werk. Alles, was sie erlebt hat oder was ihr passiert ist, fließt in ihre Werke ein. Dies ist umso erstaunlicher, als zum einen das Leben dieser Menschen nicht unbedingt die Fülle an Eindrücken mit sich bringt wie das nicht behinderter Zeitgenossen, zum anderen diese auch nicht gleichermaßen abgespeichert, geschweige denn bei Bedarf einfach abgerufen werden können.

Für Elisabeth Paulus ist es unerheblich, ob sie ihre Stillleben-Arrangements in Natura mit echtem Obst und Gemüse drapieren kann, oder ob sie sich, wie zur Zeit, die einzelnen Gegenstände einfach aus Abbildungen „holt“. Die Umsetzung erfolgt sowieso völlig frei in Form und Farbe, Größe und Proportion, sogar in Anordnung und Verteilung auf der Fläche. Elke Schubert hingegen malt dagegen wesentlich realer, realistischer, naturalistischer. Sie hält sich genau an die selbst ausgesuchten Vorlagen, ist aber in der Farbigkeit zurückhaltender. Sürejja Durovska wiederum füllt fast ungestüm ihre Werke mit kopfbetonten Figuren, welche alle untereinander verbunden scheinen durch Blicke, Gedanken oder leere Sprechblasen. Und Lars Otten schafft mit seinen Linienstrukturen statisch anmutende Wesen von einem anderen Stern, die den Betrachter dennoch anrühren. Denn auch die fast Roboter oder Astronauten ähnelnden Figuren blicken ihn aus großen Augen direkt an.

Allen KünstlerInnen gemein ist ein respektvolles Miteinander an den dicht beieinander stehenden Arbeitsplätzen, ein verantwortungsvoller Umgang mit den Materialien und die Bereitschaft, sich einzulassen auf Experimente, die persönliche Weiterentwicklung und die Möglichkeit der Kunst, sich frei und kreativ auszudrücken. Belohnt wird dies alles durch ein gesteigertes Selbstwertgefühl der „Kunst-ArbeiterInnen“, dem auch mit dem Namen WILLSOSEIN der Atelier-Werkstatt Rechnung getragen werden soll. Am Ende gilt auch für diese Menschen mit ihren geistigen und körperlichen Einschränkungen die Aussage von Andy Warhol: „Jeder Mensch wird für 15 Minuten berühmt sein.“ – und sei es nur durch diese Reportage. Nach dem Werkstattbesuch hatten wir die Gelegenheit, noch ein kurzes Interview mit Frau Geier zu führen:

Existierten für die Idee einer Aachener Kunstwerkstatt für Behinderte in diesem Rahmen bereits Vorbilder, auf denen Sie aufbauen konnten?
Die Kunstwerkstatt wurde 2008 auf Initiative der damaligen Bereichsleitung, Frau Storms, gegründet. Um die Kontinuität und somit auch die emotionale Sicherheit für die Mitarbeiter zu gewährleisten, wurde mit einer bestehenden Gruppe aus der Produktion heraus eine eigenständige Kunstgruppe gegründet. Die MitarbeiterInnen tauschten also gemeinsam mit der Gruppenleitung den Produktionstisch gegen ein Atelier. Um Qualität zu erreichen, wurde das Team durch Künstler ergänzt. Die professionelle und engagierte Arbeit des Teams und die frühzeitige Öffnung nach außen zum Beispiel durch Ausstellungen waren weitere Bausteine für den jetzigen Erfolg der Kunstwerkstatt. Die Entwicklung einer solchen Idee basiert folglich nicht auf einem bestehenden Konzept, sondern muss flexibel und sensibel auf bestehende Strukturen eingehen und diese weiterentwickeln.

Stößt die Finanzierung einer solchen Einrichtung innerhalb einer allgemeinen Trägerschaft eigentlich immer auf positive Unterstützung, oder muss immer wieder große Überzeugungsarbeit geleistet werden?
In den Anfangsjahren wurde gerne Überzeugungsarbeit geleistet. Mittlerweile sprechen die Entwicklung der Künstler, der Erfolg der Ausstellungen, sowie die erteilten Preise –Aktion Kunst-Stiftung, Lothar-Späth-Förderpreis, Euward- eine eigene Sprache.

Gibt es vergleichbar mit der „offenen“ Kunstszene auch die Möglichkeit, sich zusätzlich in Galerien oder auf Kunstmessen zu finanzieren? Ein Schwerpunkt der Arbeit der Kunstwerkstatt ist natürlich die Ausstellungstätigkeit. Neben dem Verkauf der Werke und der Präsentation in der Öffentlichkeit ist hier auch die Möglichkeit zur Vernetzung gegeben.

Sehen Sie sich auch bisweilen Anfeindungen von sogenannten Kunstexperten ausgesetzt? Nein, die schmerzlichste Kritik ist allerdings die Ignoranz, die schon anfänglich besprochene Frage „Ist das Kunst?“ Was dagegen öfters diskutiert wird, ist die Frage nach dem Eingriff der künstlerischen Assistenz, dem schmalen Grat zwischen Unterstützung und Beeinflussung. Wir Künstler sind uns dieser Verantwortung sehr bewusst.

Neben der im Bericht angemerkten konzentrierten und ruhigen Arbeitsatmosphäre trotz der bis zu 12 gleichzeitig arbeitenden Menschen – Was ist anders als in einem „normalen“ Atelier?
Die Kunstwerkstatt hat im Gegensatz zu einem freien Atelier feste Arbeitszeiten, die durch Pausenzeiten und arbeitsbegleitende Maßnahmen ergänzt werden. Manchmal stehen dem kreativen Fluss alltägliche Sorgen, Veränderungen oder krankheitsbedingte Einflüsse im Weg. Anders, als im eigenen Atelier, kann dann nicht am Abend oder am Wochenende gearbeitet werden. Da die Kreativität sich aber nicht an Uhrzeiten hält, muss die künstlerische Assistenz immer wieder flexibel auf jeden Tag und jeden Menschen reagieren.

Wie motivieren Sie immer wieder Ihre Werkstatt-Mitglieder?
Wir haben das große Glück, dass unsere Künstler ihre Arbeit lieben und stolz auf ihren Arbeitsplatz sind. Trotzdem gibt es immer wieder Zeiten, in denen manche Dinge stillstehen, Wege festgefahren sind, und Altes überholt ist. Durch regelmäßige Workshops versuchen wir hier, neue Impulse zu geben. Die Unterbrechung des Arbeitstages durch ein umfangreiches Angebot an Sport und weiteren Kursen wie zum Beispiel Politik, Mathematik oder ähnlichem schafft immer wieder einen erfrischenden Abstand zur Arbeit.

Besteht eine große Fluktuation innerhalb der Gemeinschaft, oder entwickeln sich jeweils langjährige Arbeitsverhältnisse?
Die Fluktuation in der Gemeinschaft ist sehr gering, meist nur durch Umzug. Wir haben das große Glück, dass einige Mitglieder direkt nach der Schule zu uns kamen, und wir so einen gut gemischten Altersquerschnitt haben. Die Identifikation mit der Arbeit und die Vielfältigkeit der Tätigkeit haben langjährige Arbeitsverhältnisse entstehen lassen.

Wünschen Sie sich mehr Verständnis und Unterstützung Ihrer Arbeit in der Öffentlichkeit, sei es in Aachen oder darüber hinaus?
Durch den Bereich Kunst genießen wir eine größere Medienpräsens als andere Arbeitsbereiche der Werkstatt. Insgesamt wäre eine größere Öffentlichkeit und somit der Grundstein für gegenseitiges Verständnis für Menschen mit Handicap, sowie für ihr Arbeits- und Privatleben wünschenswert. Die Werbung in der Gesellschaft für mehr Kunst und Kultur ist unabhängig von Einschränkung, Herkunft oder Alter. Was sind Ihre nächsten geplanten Vorhaben, Pläne, Initiativen und dergleichen? Dieses Jahr startet die Illustration eines wunderbaren Buches von Werner Janssen, das Ende des Jahres im Rahmen der Euriade erscheinen wird. Neben der Entwicklung neuer Motive für unseren Jahreskalender und die neuen Produkte unseres Labels „Öcher Werke“ haben wir die Möglichkeit, von Anfang Mai bis Ende August zwei aufeinander folgende Ausstellungen im Aachener Hotel Innside in der Sandkaulstraße zu gestalten. Hierbei werden wir in der Lounge im Erdgeschoss neue Arbeiten und in der Skybar eine Installation präsentieren. Weitere Projekte sind angedacht.

Frau Geier, vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!

TEXT: Rainer Güntermann
FOTOS: Lebenshilfe Aachen | Marcello Vercio

ARCH BRUT Brutalismus in der Euregio

Brut = Brutalismus. Genauso wenig wie beim Champagner hat die französiche Bezeichnung „architecture brut“ in der Baukunst mit dem unschmeichelhaften deutschen Begriff zu tun. Brut steht vielmehr für roh, unbehandelt und bezieht sich ursprünglich auf den Baustoff (Sicht)Beton, der in den beiden Dekaden der 1960er und 70er Jahren eine Blütezeit hatte. Da diese Oberflächenoptik aber in Verbindung mit einer expressiven, oft skulpturalen Formensprache auf den Betrachter einen schroffen, ungehobelten Eindruck macht, ist die Gleichsetzung brut = brutal schnell bei der Hand und auch verständlich. Wir stellen im Folgenden einige Exemplare dieser Stilrichtung aus der Region vor.

SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster. So provokant wie der Titel der Ausstellung wirken auch viele der noch bis zum 2. April dieses Jahres im Deutschen Architektur Museum DAM in Frankfurt präsentierten Bauten. Es war die Zeit, in der der autogerechten Stadt das Wort geredet wurde. Fußgänger wurden unter die Erde oder auf Stege und Rampen ins Obergeschoss verbannt. Nach den noch nieren- und trapezförmig verspielten 1950er Jahren kam eine neue Sachlichkeit auf. International, aber auch in Deutschland schufen Vorreiter der neuen Stilrichtung auf den ersten Blick monströs wirkende Betonbauten, die gestrandeten Ozeandampfern aus Beton gleichkamen. Le Corbusier bezeichnete seine „Unité d’Habitation“ in Berlin (1956-59) denn auch als Wohnmaschine. Den Mensch der Zukunft sah man schon in weltraumtauglichen Anzügen, seine Mobilität voll automatisiert, seinen Alltag komplett technisiert. Alles war im Aufbruch. Die Bevölkerung und somit die Städte wuchsen rasant. Öffentliche Neubauten wie Rathäuser, Bildungseinrichtungen und Kirchen wurden zu imposanten Statements der neuen Architektur, deren Schöpfer alle Möglichkeiten des Baustoffes Beton ausreizten.

Ziel der neuen Stilrichtung, die in Großbritannien ihren Ursprung hatte, war es, wegzukommen von dem internationalen Stil der Nachkriegsmoderne, dessen uniforme Stahl-Glas-Fassaden beliebig austauschbare Nutzungen dahinter suggerierten. Ehrlich wollte man sein, das Material „as found“, also ohne Verkleidung oder Behandlung präsentieren und somit auch würdigen. Nicht nur die Konstruktion sollte ablesbar sein, sondern weitestgehend auch der Zweck des Gebäudes. Eine Schule sollte anders aussehen als ein Verwaltungsbau, eine Kirche anders als eine profane Veranstaltungshalle. Der Baustoff Beton, dessen Oberfläche nur durch verschiedene Schalungstechniken seine individuelle Handschrift bekam, wurde zum Prinzip, allenfalls leicht abgemildert durch den Einsatz von gebrannten Ziegeln. Diese jedoch dann möglichst rau, ungeschönt, gern mit uneinheitlicher Farbwirkung.

Heute sind derlei Bauten in die Jahre gekommen, wenn sie denn überhaupt noch stehen und nicht voreilig bereits abgerissen worden sind. Selten ist ein Baustil derart mit Vorurteilen behaftet, kann ein kulturhistorisch begründeter Denkmalschutz nur entgegen dem allgemeinen Geschmacksempfinden durchgesetzt werden. Aber es ist noch gar nicht so lange her, als allerorts der Stuck von Gründerzeitfassaden abgeschlagen wurde für einen glatten Verputz oder –noch schlimmer- für eine Verkleidung mit pflegeleichtem Plattenmaterial. Heute sind die verbliebenen Exemplare dieser verspielten Epoche heißbegehrt, und die Bewohner nehmen Komforteinbußen gegenüber technisch aufgerüsteten Neubauten gern in Kauf. Selbstredend ist nicht jede Bausubstanz aus jeder Epoche erhaltenswert. Es gibt vor allem im Massenwohnungsbau geschmackliche und qualitative Verirrungen, die besser Platz machen sollten für neue Ideen von Wohnquartieren. Innovative Ideen jedoch brauchen immer auch eine konsequente Umsetzung und Nachsorge, sprich Instandhaltung, damit ihr Gesamtkonzept gültig und nutzbar bleibt. Genau hieran aber krankten viele Beispiele des sogannten Brutalismus von Beginn an, und sie werden denn auch heute eher als hässlich empfunden.

Ein Beispiel hierfür ist der Aachener Bushof von den Architekten Siegfried Reitz und Willy Frings, der 1973 eingeweiht wurde. Als „Nachzügler“ der Brutalismus-Epoche weist er bereits eine größere Materialvielfalt auf, präsentiert sich aber selbstbewusst mit in Szene gesetzten Kuben, die den gesamten Bau weniger monolithisch wirken lassen. Die Intention zur Bauzeit war es, eine Stadt in der Stadt zu bauen. Eine Tiefgarage in den Untergeschossen, den rundum starken Autoverkehr ausweichende Fußgängerunterführungen –das Thema Barrierefreiheit war noch keines-, und die bei Eröffnung größte überdachte Bushaltestelle Deutschlands sollten für eine bequeme Erreichbarkeit sorgen. Über Treppen- und Liftanlagen gelangte man auf die erste Etage, die mit Terrassen, Rampen und kleinen Plätzen aufwartete, um hier in ruhiger Atmosphäre eine bunte Vielzahl von Geschäften besuchen zu können. Für Kinder gab es einen aufgeständerten Spielpavillon, in den Kuben sollten Dienstleistungsbüros angesiedelt werden, im hohen Eckturm hochwertige Wohnungen. Warum dieses Konzept von Anfang an nicht vollends gegriffen hat, ist nicht mehr nachzuvollziehen. In den Folgejahren wurden jedoch ständig voreilige und nicht zu Ende gedachte Umbauten vorgenommen, was letztlich zur heutigen, ab dem Obergeschoss fast nur noch monofunktionalen Nutzung durch die Volkshochschule geführt hat.

Nicht weit entfernt am Aachener Dahmengraben steht das Wohn/Geschäftshaus der ehemaligen Parfümerie Thomas von den Architekten Hans Haas und Winfried Wolks aus dem Jahr 1965. Hier sind die fünf Obergeschosse zwar einheitlich aus dunklen Ziegeln mit rauer Oberfläche, nehmen jedoch die Auffaltung des Betonsockels im Erdgeschoss des schmalen, aber langen Eckhauses auf. Der Beton ist absichtlich extrem rau ausgewaschen und lässt durch seine leichte Abschrägung in den Sturzbereichen und den beiden überkragenden Außenecken das Erdgeschoss wie eine moderne Trutzburg erscheinen.

Ein nicht in der Größe, aber seiner Fassadengestaltung eindrucksvolles Beispiel für den skulpturalen Beton brut findet sich in der Wilhelmstraße/Ecke Augustastraße in Aachen. Im Jahr 1973 vom Architekten Erwin Lynen erbaut, weist das ebenfalls schmale, aber lange Eckhaus eine starke Rythmisierung auf. Wohnwürfel, Treppenhauszylinder, vorgehängte Außengänge und abgestufte Terrassen und Balkone stehen im spannungsreichen Wechsel. Bis auf einen wohl auch durch Graffitis bedingten Anstrich des Sichtbetons scheint hier noch alles im Originalzustand erhalten zu sein. Kein vom gegebenen Bauvolumen her möglicher An- oder Ausbau beeinträchtigt die Gesamtwirkung auf den Betrachter.

Nachdem der bereits erwähnte Architekt und Maler Le Corbusier, von welchem auch der Begriff béton brut ursprünglich stammte, 1960 das Kloster Sainte-Marie de la Tourette in Frankreich fertiggestellt hatte, wurde dieser sakrale Bau, der seit 2016 auch zum Welterbe der Unesco gehört, zu einem Wegbereiter für neue Kirchen und Klöster im Stil des sogannten Brutalismus. Werner Düttmanns Kirche Sankt Agnes in Berlin (1964-67), heute eine Privatgalerie, die Kirche der Katholischen Hochschulgemeinde Köln Johannes XXIII von dem Architekten Heinz Buchmann und dem Bildhauer Josef Rikus (1968-69), und der Nevigeser Wallfahrtsdom des ehemaligen Aachener Architekturprofessors Gottfried Böhm (1966-68) in Velbert gelten als deutsche Meilensteine auf diesem Gebiet. Bereits 1964 hatte Letzterer in Aachen bereits die Kirche Sankt Hubertus, besser bekannt als Backenzahn, fertig gestellt. Vom Schöpfer weit prosaischer als Kristall bezeichnet, weist der Baukörper hier lediglich im Sockelgeschoss eine Sichtbetonfassade auf. Das mehrfach facettierte Dach ist dagegen komplett mit Schiefer verkleidet. Die Fenster schuf der bekannte Aachener Glaskünstler Ludwig Schaffrath.

Ebenfalls einen Bauboom erlebte in dieser Zeit der Hochschulbau, nicht zuletzt durch die neu gebildeten Universitäten in Paderborn, Dortmund, Bielefeld und Bochum. Für Bielefeld (Planung 1969) zeichnete neben anderen der spätere Aachener Architekturprofessor Peter Kulka verantwortlich, der Bau der Bochumer Ruhruniversität wurde 1964 nach den Plänen des Düsseldorfer Architekten Helmut Hentrich begonnen. Mit kompromisslosen Einzelbauten innerhalb des Gesamtkomplexes wie das Musische Zentrum und der durch Vorfertigung rasanten Bauzeit ist sie ebenfalls zu einem Ausrufezeichen dieser Richtung des sogenannten Brutalismus geworden. Bei dem damaligen Wettbewerb ging der gebürtige Aachener Architekt Mies van der Rohe übrigens leer aus. In Aachen wiederum entstand von 1971 bis 1985 im Zuge des Hochschulneubaus das bereits in den späten Sechziger Jahren vom Aachener Architekturbüro Weber & Brand geplante Universitätsklinikum. Hier zeigt sich wie beim 1977 in Paris eröffneten Centre Pompidou die Ideologie der Spätphase des sogenannten Brutalismus, dass nämlich nicht nur die Konstruktion von außen ablesbar sein sollte, sondern nun auch die gesamte Technik nach außen verlegt wurde. Dieser Technikbegeisterung ist auch geschuldet, dass im Innern der Sichtbeton einen metallisch-silbernen Anstrich bekam, der auch ihn wie ein High-Tech-Element aussehen lässt. Im Zeitalter von Elbphilharmonie, Flughafen Berlin-Brandenburg und Stuttgart 21 nimmt sich die Verlängerung der Bauzeit um neun Jahre und eine Kostensteigerung um das Vierfache für diesen laut FAZ-Kommentar „provinziellen Gigantismus“ beinahe bescheiden aus.

Ein wirkliches Paradebeispiel von architecture brut in der Region steht in Hückelhoven, in einzelnen Abschnitten erbaut vom Berliner Architektenpaar, nomen est omen, Brigitte und Christoph Parade in den Jahren 1962 bis 1974. Die damals gänzlich neu geschaffene Ortsmitte der früheren Bergbaustadt mit Gymnasium, Aula, Mehrzweckhalle und Stadthaus ist nicht nur fast unverändert erhalten, sondern funktioniert auch unter den heutigen, veränderten Anforderungen immer noch. Dies zeigt, wie richtungweisend die damalige Architekturvision war. Die versetzten Geschosse um ein großes, offenes Atrium mit umlaufenden Galerien für Schülerarbeiten, Terrassen für Freiluftunterricht an den Enden der Klassenflügel, ein Brunnen und Aquarium nicht nur zur optischen Entspannung, sondern auch zur Förderung des Raumklimas, innen und außen gruppierte Sitzterrassen, um Konflikte in Massenansammlungen zu vermeiden, eine vom Schulkörper getrennte Aula, um die Multifunktionalität zu unterstreichen und dergleichen mehr sind inzwischen wissenschaftlich abgesegnete Bauanforderungen für anspruchsvollen Schulbau. Eine Sternwarte auf dem Dach steht nicht nur für schulischen Forschungsgeist, sondern auch für den Zentrumsanspruch des Gymnasiums, die Kuppel des Observatoriums quasi als Ortmitte. Die beinahe geschlossene Außenhaut der Aula fokussiert den Besucher schon vor Betreten auf das Ereignis im Innern. Dass dieses Bauensemble als eines der wenigen deutschen Beispiele für Brutalismus in der Baugeschichte in der Frankfurter Ausstellung gezeigt wird, unterstreicht seine herausragende Stellung auf diesem Sektor. Dass sich die jahrzehntelange Abneigung gegen diese Architektur zur Zeit umkehrt in ein reges Interesse an den vermeintlichen Monsterbauten–nicht nur von motivbegeisterten Fotografen-, hat auch etwas mit einer neuen Wohnästhetik zu tun. Teppiche werden im Used-Look produziert, statt mit Parkettdielen belegt, werden in den neuen Stadtvillen Böden mit poliertem Schlämmbeton auf Industriecharme gebracht, Decken und oft auch mindestens eine Schauwand werden in Sichtbetonoptik belassen und Bäder bleiben immer öfter ungekachelt. Vor diesem Hintergrund verlieren die rohen Betonbauten des sogenannten Brutalismus etwas von ihrem angeblichen Schrecken. Sie werden zum Teil wieder gesellschaftsfähig, wenn man sich nur mit ihnen beschäftigt, mit Bedacht und Interesse, ohne Ressentiments, ohne das Totschlagargument Energieeffizienz und ohne alles gleich zu verteufeln oder zu glorifizieren. Sie stehen nun einmal da und verlangen, dass man sich ihrer annimmt. Nicht alle sind es wert, auf Dauer erhalten zu werden, aber viele stehen unmissverständlich für eine Architekturepoche. Und jede dieser Epochen ist es wert, mit herausragenden Beispielen für die Nachwelt erhalten zu werden, anschaulich, erklärend, mahnend oder auch belehrend. Die Intention einer jeden Architektengeneration war und ist es, die Welt in ihrem Sinn zu verbessern. Etwas Altes dafür zu opfern, sprich abzureißen, ist schnell getan, aber nicht jeder neue „–ismus“ ist automatisch besser.

 

Text: Rainer Güntermann

Fotos: Parade Architekten (Gymnasium Hückelhoven) | www.parade-architekten.de, Eckhard Heck, „Der Backenzahn“ St. Hubertus, Ehemalige Parfümerie Thomas, St. Hubertus, Klinikum, Dr. Holger A. Dux | www.duxitineris.de, © Florian Monheim (Nevigeser Wallfahrtsdom) Veröffentlicht u.a. in „Pilgerorte im Rheinland“ (siehe auch Seite 72), Dr. Holger A. Dux www.duxitineris.de (Bushof), Patrick Pekal (Kármán-Auditorium), Eckhard Heck

Frühlings- erwachen am Gartenteich

Der Frühling ist in greifbarer Nähe, und das bedeutet wieder Arbeit für Gartenfreunde. Besonders rund um den Gartenteich muss groß aufgeräumt werden, damit Tiere und Pflanzen sich dort nun wieder wohl fühlen können – aber echte Gartenfreunde wissen eben auch: Diese Arbeit lohnt sich!

Dabei ist was den Gartenteich angeht zunächst Geduld gefragt: Meist ist der Teich im März wieder eisfrei. Die Eisdecke zu früh zu durchbrechen, würde die überwinternden Organismen im Wasser stören. Ist sie aber geschmolzen und sollte die Wassertemperatur bei ungefähr zwölf Grad Celsius liegen (mindestens dauerhaft bei zehn Grad), können Sie mit der Teichpflege beginnen. Bitte nicht vorher, denn dann würden Wasserbewegungen, etwa durch eine Teichpumpe, die unterschiedlichen Temperaturschichten vermischen und das Wasser nur noch weiter abkühlen.

Teichbewohner behutsam aufwecken Sollten
Fische Ihren Gartenteich bewohnen, seien Sie auch hier geduldig: Nach den Strapazen eines kalten Winters müssen diese sich sehr behutsam an wärmere Temperaturen gewöhnen. Und eine verlängerte Kältephase durch zu frühes Eingreifen wäre also eher schädlich. Achten Sie auch darauf, dass Sie in dieser Übergangszeit noch ein leicht verdauliches Futter verwenden, da die Fische auch bei den ersten konstanten zweistelligen Plusgraden noch den Stoffwechsel weit heruntergefahren haben. Zu schwere Nahrung können sie noch nicht verdauen und sogar daran sterben. Aber keine Sorge, spezielle Fischfuttersorten für die Fütterung bei niedrigen Temperaturen finden Sie im Fachhandel. Die Fische können während der Frühlingsarbeiten übrigens im Teich gelassen werden. Bei größeren Anpassungen oder Umbauten ist ein Verlegen der Fische jedoch eventuell sinnvoller. Füllen Sie dann das Ausweichbecken mit Teichwasser, um die Umstellungen für die Fische möglichst klein zu halten.

Sobald also mit den Temperaturen die Voraussetzungen für die Teichpflege stimmen, kann es losgehen. Zunächst sollte nach Frost und Schnee die Teichumrandung geprüft werden: Gefriert Wasser zu Eis, dehnt es sich aus und kann so dort Schäden verursachen. Dann sollten Teichpumpe und -filter gründlich gereinigt und eventuell beschädigte Teile unbedingt ersetzt werden, damit glasklares Wasser bis zum nächsten Frühjahr garantiert ist. Denn zum einen sorgen Teichpumpen für eine regelmäßige Wasserzirkulation und damit zu einer gleichmäßigen Anreicherung des Wassers mit Sauerstoff. Zum anderen siedeln sich im Filter Mikroorganismen an, die für das Reinigen des Wassers zuständig sind. Damit diese nicht absterben, sollten die Pumpen rund um die Uhr in Betrieb gehalten werden. Überprüfen Sie außerdem von Anfang an die Wasserqualität – so sehen Sie, ob der ein oder andere Wert durch Wasserpflegemittel mit Spezialbakterien nach dem Winter angepasst werden muss. Der pH-Wert etwa, der im Winter durch weiches Schnee- und Regenwasser stark absinkt, sollte unbedingt in der Teichpflege erhöht und dann konstant gehalten werden.

Der Algenplage die Grundlage nehmen
Einen weiteren wichtigen Schritt stellt die Beseitigung des Teichschlamms dar. Das Herbstlaub und die abgestorbenen Pflanzenreste, die sich im Winter am Teichboden abgesetzt und dadurch den Schlamm gebildet haben, sind nämlich voller Nährstoffe für Algen – ganz zu schweigen von Verunreinigungen und Fäulnisgasen. Der Schlamm kann mit einem Teichsauger abgesaugt oder mit einem Teichschlamm-Entferner biologisch entfernt werden. Dieser wirkt durch Mikroorganismen und ist damit unbedenklich im Einsatz mit Fischen oder in einem Schwimmteich. Einen Teichsauger können Sie in Gartencentern oder Baumärkten leihen. Achten Sie bei seiner Verwendung darauf, den Schlauch durch ein Sieb zu sichern, so dass Sie nicht versehentlich Fische oder Molche absaugen. Nicht nur das Entfernen des Schlamms entzieht Algen die Grundlage, auch Wasser- und Teichpflanzen klauen ihnen Nahrung. Vorhandene Pflanzen sollten in der Frühjahrspflege beschnitten werden, das stärkt sie und schafft zudem Platz für Neupflanzungen. Der ideale Zeitraum dafür sind übrigens die Monate Mai und Juni. Achten Sie darauf, dabei den Teich nicht wieder mit Erde oder Blättern zu verunreinigen, da Sie damit – genau wie etwa mit übrigbleibendem Fischfutter – den Nährstoffgehalt des Teichwassers in die Höhe treiben und das Algenwachstum so begünstigen.

Regelmäßig reinigen für konstante Qualität
Die Teich- und Wasserpflanzen sind nicht nur zur Zierde gedacht, sie erfüllen darüber hinaus alle ihre eigenen Aufgaben im Ökosystem Gartenteich. Achten Sie daher nicht nur auf Äußerlichkeiten beim Pflanzenkauf. Der Teich selbst bestimmt oftmals, welche Pflanzen für ihn geeignet sind: Ein steiler Hang oder ein Kiesufer beispielsweise sind nicht für alle Pflanzenarten geeignet; die Seerose ist zwar ein Klassiker unter den Teichpflanzen, sie benötigen allerdings viel Wärme, mindestens fünf Stunden Sonnenlicht sowie je nach Sorte eine gewisse Teichtiefe. Überprüfen Sie die Wasserqualität des Teiches auch noch konstant, sobald der Frühling dann endgültig den Winter abgelöst hat und die Wassertemperaturen permanent hoch liegen. Sind die Werte in Ordnung und bevölkern Fische Ihren Teich, beginnen Sie mit der Prävention von Fischkrankheiten durch entsprechende Wasserzusätze.

Erst wenn Flora und Fauna versorgt sind, sollten Sie die Wasserspiele wieder hinzufügen. Springbrunnen, Läufe und Beleuchtung stören den Teich und seine Bewohner nun nicht mehr beim Frühlingserwachen – und machen für Sie das Bild des perfekten Gartenteiches nun für den Rest des Jahres komplett. Es empfiehlt sich grundsätzlich, ständig ein Auge auf den Teich zu haben. Fischen Sie Algen, Laub und überschüssiges Fischfutter regelmäßig ab, achten Sie auf gesunde Teichpflanzen und konstante Wasserwerte. Spannen Sie im Herbst ein Netz über den Teich, um Laub und Enten fernzuhalten. So halten Sie die Wasserqualität hoch, das Wasser glasklar und den Aufwand im nächsten Frühjahr vielleicht sogar etwas geringer. Aber Sie wissen ja: Die Arbeit rund um den Teich lohnt sich – jedes Jahr aufs Neue!

 

Text: Christian Dang-anh

Fotos: Oase