DIE SELFIE HOME COLLECTION

Es wird Zeit – höchste Zeit, meinen Sie nicht? Oder haben Sie schon? Also ich jedenfalls werde mich jetzt schnellstens an die Arbeit machen. Schließlich habe ich die Zeichen der Zeit erkannt. Wieso immer alles von anderen Leuten kaufen? Schließlich mache ich ja auch keine Fotos mehr von anderen Leuten, sondern ausschließlich von mir selbst. Gut, da ich keine Augen im Hinterkopf habe, weiß ich nicht, ob nicht gerade irgendjemand Fremdes hinter mir ungebeten durchs Bild läuft und ebenfalls auf mein Handy gebannt wird – geschenkt. Aber vordergründig konzentriere ich mich auf meine Person. Und daher ist es an der Zeit, nicht nur mein Foto, sondern auch meinen Lebensstil weiter zu verbreiten und mit anderen Leuten zu teilen. Schließlich haben alle, die etwas auf sich halten, auch inzwischen ihre eigene Collection (mit kreativ-c) herausgebracht. Ob Möbel, Textilien, Haushaltwaren oder Delikatessen – alles mit eigenem Konterfei und Monogramm, eigens von –ach, egal- entworfen, aber das Deßign (für Insider mit scharf gesprochenem s) selbst signiert. Da möchte ich nicht hintenan stehen. Ich habe auch schon konkrete Vorstellungen: Einen Kaffeebecher zum Beispiel mit einem eleganten Porträt von mir, damit ich morgens beim Frühstück erahnen kann, wie ich im weiteren Verlauf des Tages aussehen könnte. Oder ein weiches Sofakissen mit meinem Konterfei, das nach einem Spielfilmabend wieder mehr Falten hat als ich in Natura. Auch einen Rotwein stelle ich mir vor, auf dessen Etikett ich mir und natürlich dann auch allen Käufern ermunternd zuzwinkere. Ausprobiert habe ich übrigens ja alles schon bei meinen Kindern. Vom Tag der Geburt an konnten sie unter allen Schlafsäcken, Nuckellappen, Kapuzentüchern und dergleichen mehr ihre eigenen, weil mit Namenzug bestickten Exemplare herausfinden –so sie denn hätten lesen können. Im Kindergarten hatten sie selbstredend ihre personifizierten Brotdosen, Trinkflaschen und Sportutensilien. Und damit sie von fremden Menschen auf dem Schulweg direkt mit Vornamen angesprochen werden konnten natürlich auch ihre namentlich bedruckten Ranzen. Das alles allein mit dem gutem Vorsatz, den Kindern ihre Individualität zu vermitteln. Denn sie sollen wissen, dass sie einzigartig sind, Prinz oder Prinzessin eben, abgehoben von der Masse. Für diesen Zweck ist eine Kiddy-Home-Collection genau das Richtige. Einige Jahre später wird das Ganze mit dem eigenen Social-Media-Account und einem Selfie über dem Namenszug noch professionalisiert und altersgerecht aktualisiert in die virtuelle Welt verschickt – und schon befindet man sich in bester Promi-Gesellschaft. Nachtwäsche von der letzten Dschungelcampsiegerin, eine Körperpflege vom Next-Super-Talent-Model-Star, das Salatöl von der aktuellen Miss Nord-West-Deutschland oder der Bettbezug von einem B bis C –Promi. Hauptsache, man weiß von wem.

 

 

von Rainer Güntermann

Veröffentlicht unter Glosse

Das Ende des fiktiven Schadenersatzes

Markus Cosler
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht | Lehrbeauftragter für Baurecht an der FH Hannover

Die Situation kennt – leider – fast jeder. Man wird unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt, dadurch entsteht ein Schaden am Fahrzeug. In dieser Situation fährt man zur Werkstatt oder zu einem Sachverständigen, holt einen Kostenvoranschlag oder ein Gutachten über den entstandenen Schaden ein, reicht die Unterlagen bei der gegnerischen Versicherung ein und erhält – mehr oder weniger prompt und vollständig – zumindest die entsprechenden Reparaturkosten ohne Umsatzsteuer erstattet. Nach erfolgter Reparatur wird dann auch die Umsatzsteuer erstattet, wenn man die entsprechende Reparaturrechnung vorlegt. Insgesamt kann man in dieser Konstellation aber auch auf die Reparatur verzichten, der Schaden kann – wie wir Juristen sagen – „fiktiv“ abgerechnet werden, das heißt, man „lebt“ mit dem entsprechenden Schaden und muss die Summe, die man insoweit erhalten hat, nicht zwingend für die entsprechende Reparatur aufwenden. Dies galt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes für alle Lebensbereiche und Rechtsgebiete, so auch am Bau.

Seit dem 22.02.2018 ist dies aber anders: Der insoweit für Bausachen zuständige 7. Senat des Bundesgerichtshofes hat nämlich mit besagtem Urteil vom 22.02.2018 zum Aktenzeichen VII ZR 46/17 entschieden, dass der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, den Schaden nicht mehr nach den fiktiven Mangelbeseitigungskosten bemessen darf. Wenn es um eine Bauleistung geht, muss also der Bauherr sich bei Mängeln an dieser entscheiden: Lasse ich den Mangel tatsächlich beseitigen, so darf ich von der Rechnung des Unternehmers die Mangelbeseitigungskosten als Vorschuss abziehen und dann – nach Ablauf der entsprechenden angemessenen Fristsetzung zur eigenen Mangelbeseitigung gegenüber dem Unternehmer – den Mangel durch eine Drittfirma beseitigen lassen. Wenn ich mich aber dafür entscheide, mit dem Mangel zu leben, dann dürfen von der Rechnung nicht die fiktiven Mangelbeseitigungskosten abgezogen werden, sondern der Rechnungsbetrag ist insoweit nur angemessen zu mindern. Diese Minderung ist dergestalt zu ermitteln, dass quasi im Wege einer Vermögensbilanz die Differenz zwischen dem tatsächlichen Wert eines mangelfreien Gewerkes und dem hypothetischen Wert des mangelhaften Gewerkes gebildet wird. Dies ist naturgemäß eine deutlich geringere Summe als die eigentlichen Mangelbeseitigungskosten. Um das Ganze an einem Beispiel transparent zu machen: Man erhält insoweit als Bauherr unter anderem eine neue Haustüre. In dieser neuen Haustüre ist ein Kratzer. Wenn der Bauherr sich nun dafür entscheidet, mit dem entsprechenden Kratzer zu leben, wäre es natürlich ungerecht, wenn der Unternehmer trotzdem die volle Vergütung erhält. Genauso ungerecht wäre es aber nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wenn der Bauherr die Kosten für den Austausch der Türe von der Rechnung abzieht, obwohl er den Austausch gar nicht vornimmt. Dann ist eben zu ermitteln, wie der Wert der Türe mit dem Kratzer anzusetzen ist und um wie viel dies geringer ist, als der Wert einer Türe ohne Kratzer. Eine sicherlich spannende Aufgabe für Sachverständige auf dem entsprechenden Gebiet. Selbstverständlich liegt hier – bedauerlicherweise – ein nicht unerhebliches Maß an Konfliktpotential bei der Ermittlung dieser Wertminderung. In jedem Fall falsch – und insoweit insbesondere für Architekten als Bauherrenvertreter haftungsträchtig – wäre es aber, die Mangelbeseitigungskosten in jedem Fall anzusetzen. Letztlich ist also bauherrenseits hier in jedem Fall zunächst die Frage zu klären, ob man mit dem Mangel leben möchte oder nicht. Erst dann kann man sich der Frage widmen, in welcher Höhe dann ein berechtigter Abzug von der Rechnung vorgenommen werden kann.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Text: Markus Cosler Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht Lehrbeauftragter für Baurecht an der FH Hannover

100 jahre bauhaus

Nicht in Allem, wo Bauhaus drauf steht, ist auch Bauhaus drin. Rein gar nicht im bekannten Heimwerkermarkt, aber auch nicht bei vielen der heute auf dem Immobilienmarkt als Bauhaus-Villa in weiß mit Flachdach angepriesenen Gebäuden ist der Geist des Originals zu spüren. Bauhaus heißt nicht gleich weiß und auch nicht gleich rechtwinklig. Im Ruhrgebiet zum Beispiel wurden die vom Bauhaus beeinflussten Gebäude oft mit rötlichen Ziegeln verkleidet, da diese dem damals noch allgegenwärtigen Kohlenstaub besser trotzen konnten. Im Innern aber von außen schlicht weiß gehaltenen Architekturen ging es oft recht farbig zu. Selten in Pastelltönen, sondern eher in satten Variationen der Grundfarben Blau, Rot und Gelb wurden einzelne Wandoberflächen zu gestalterischen Elementen. Alles getreu dem Wahlspruch des Gründers Walter Gropius: „Bunt ist meine Lieblingsfarbe“. Am Bauhaus-Institut selbst trugen die Studierenden und ihre Meisterlehrer mit ihrer durchaus farbenfrohen Kleidung ebenfalls zur Polychromie bei. Anders als das heutige einheitliche Schwarz-Weiß der Kultur-Szene gehörte dies zu ihrem Selbstverständnis als Kreativ-Elite. Darüber hinaus waren die überschwänglichen Feste und Feiern in überbordenden Kostümen im Bauhaus schon damals legendär. Die

Die Bauhaus-Wegbereiter

Die Geschichte des Bauhauses beginnt in Weimar im Jahr 1919, jedoch nicht einem Urknall gleich aus heiterem Himmel. Denn eigentlich spielten auch unsere beiden Nachbarländer Niederlande und Belgien ein Vorreiterrolle. Schon 1917 hatte sich in den Niederlanden die Künstlerbewegung De Stijl formiert, gegründet unter anderem von Theo van Doesburg und Piet Mondrian, dem Schöpfer des weltbekannten Bildes „Compositie in Rood, Geel, Blauw en Zwart“. Die Angehörigen dieser Gruppe waren aber nicht Bestandteil eines Instituts, einer Werkstatt oder Lehranstalt, sondern sie kommunizierten lediglich über ihre gleichnamige Monatszeitschrift. Im Gegensatz zum späteren Bauhaus war ihr Bestreben auch nicht die standartisierte Massenproduktion von hochwertigem Design für die Allgemeinheit, sondern die individuelle Fertigung für den jeweiligen Auftraggeber. Aber auch diese Bewegung existierte wie das Bauhaus lediglich 14 Jahre bis 1931. Bereits im Jahr 1902 war der im belgischen Antwerpen geborene Maler Henry van de Velde nach Weimar gezogen, um dort neben der Großherzoglichen Kunstschule Weimar das Kunstgewerbliche Seminar zu gründen. Aus diesem geht ab 1904 das Kunstgewerbliche Institut Weimar hervor, für das er von 1905-1906 ein neues Lehrgebäude nach seinen Entwürfen errichten lässt, da er sich inzwischen von der Malerei abgewandt und sich der Architektur gewidmet hat. 1908 wird aus der Lehranstalt dann die Großherzogliche-Sächsische Kunstgewerbeschule Weimar, deren Leitung er von 1907 bis 1915 übernahm. Bedingt durch den Ersten Weltkrieg und den daraus resultierenden Anfeindungen ging Van de Velde 1915 wieder zurück nach Belgien. Noch auf seinen Vorschlag hin wird Walter Gropius zum neuen Leiter bestimmt, welcher am 12. April 1919 im selben Gebäude ein Staatliches Bauhaus gründet.

Das Bauhaus-Marketing

In Weimar brachen im Jahr 1919 aber gleich doppelt neue Zeiten für Deutschland an. Mit der Zusammenlegung von der inzwischen zur Hochschule aufgestiegenen Kunstschule und der Kunstgewerbeschule zum Bauhaus Weimar gründete Gropius die im Nachhinein einflussreichste Architektur-, Kunst- und Design-Akademie des 20. Jahrhunderts. Und nahezu zeitgleich kam im Nationaltheater von Weimar die neu gewählte Nationalversammlung zusammen, um die Verfassung für die neue deutsche Republik auszuarbeiten, einem demokratischen Rechtsstaat ohne Monarchie, mit Frauenwahlrecht und sozialen Grundstrukturen. Welch ein Aufbruch in eine neue Zeit! Die Signale für einen ersehnten Wandel nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in Kunst und Architektur gab es wie oben erwähnt nicht nur in Deutschland und hier auch nicht nur in Weimar. Das Bauhaus jedoch verstand es bereits damals außerordentlich, sich von allen Institutionen am besten zu vermarkten. Unzählige Veröffentlichungen, Ausstellungen, Vorträge und nicht zuletzt die gezielten Selbstinszenierungen in Form von besagten „Partys“ in für damaliges Empfinden wagemutigen Outfits trugen zur raschen Verbreitung der Marke Bauhaus bei. Hinzu kam, dass die Erzeugnisse aus der Weberei und vor allem der Papierwerkstatt mit ihren bunten Tapeten enorme Verkaufszahlen und auch entsprechende Erlöse erlangten. Das Bauhaus war regelrecht „in“.

Die Bauhaus-Frauen

Nicht erst durch den jüngst im Fernsehen ausgestrahlten Film „Lotte am Bauhaus“ ist jedoch ein unrühmlicher Aspekt des ansonsten so revolutionär daherkommenden Lehrbetriebes ans öffentliche Licht gekommen, der bisher auch an den heutigen Universitäten nicht eingehend beleuchtet wurde. Das Frauenwahlrecht war zwar just in die Verfassung aufgenommen worden, am Bauhaus jedoch wurden weibliche Bewerberinnen um einen Studienplatz zugunsten ihrer männlichen Mitbewerber hinten angestellt. Und wenn sie denn das Glück hatten, aufgenommen zu werden und die Studiengebühren auftreiben zu können, so wurden sie zumeist den „Soft-Werkstätten“ wie Weberei oder Papierwerkstatt zugewiesen. Genau diese Ateliers jedoch waren kommerziell die erfolgreichsten im Bauhaus, ein Aufstieg aber in die Architekturabteilung oder Schreinerwerkstatt zum Beispiel gelang nur wenigen jungen Frauen. Daher sind es bis heute allein die Männer, deren Namen und Gesichter den Mythos Bauhaus symbolisieren. Gropius selbst war es, der die Frauenquote so niedrig wie möglich halten wollte, um in der Öffentlichkeit nicht als Lehranstalt für gefälliges Kunstgewerbe wahrgenommen zu werden, sondern als Brutstätte neuer Kreativität, neuen Lebens, einer neuen Gesellschaft. Das dies eigentlich ein Paradoxon in sich war, zeigt sein Gefangensein im historischen Gesellschaftsbild. Daher wirken auch viele Postulierungen der verantwortlichen Bauhäusler nach einer radikalen Umwandlung der Gesellschaft hin zu einer offenen und gleichen Gemeinschaft eher theoretisch doziert denn wirklich praktiziert. Man könnte auch sagen: „Wasser predigen, Wein trinken“. Frauen wie Gunta Stölzl, Lilly Reich oder Benita Koch-Otte rücken mit ihren Leistungen am Bauhaus erst seit kurzer Zeit in den Fokus der Öffentlichkeit – reichlich spät. Da ist es nur wenig Trost, dass es den Gattinnen der Meisterlehrer eigentlich noch schlechter ging. Denn selbstverständlich nahmen sich die großen Namen wie Walter Gropius oder Lazlo Moholy-Nagy kreative Köpfe zur ihrer Ehefrau. Doch dadurch waren sie fortan direkt dazu degradiert, ihren Männern zuzuarbeiten: Als Sekretärin, Lektorin, Fotografin, für Aquise, Organisation und Koordination, ja sogar als Putzfrau.

Die Bauhaus-Revolution

Unbestritten ist jedoch die immense Nachwirkung der Bauhausideologie bis in die heutige Zeit. Krasser und innovativer hat kaum eine Gestaltungsepoche ihre Vorgängerin abgelöst. Bei Kriegsende noch umgeben von nicht nur optisch schweren, dunklen Möbeln mit dekorwütigen Verzierungen in ebenso „durchstuckten“ Häusern, traten jetzt Möbel auf den Plan, deren Reduzierung in Material, Form und Farbe auf das Allerwesentlichste eine bis dato unglaubliche Leichtigkeit in die Wohnungen brachte. Häuser, die mit neuen Materialien und vor allem Materialkombinationen experimentierten, deren Fassaden glatt und deren Dächer flach waren. Fenster mit extrem schmalen Profilen, oftmals zu horizontalen Bändern zusammengefasst, teils davor rythmisiert aufgereihte Balkone, darüber schmale, flache Auskragungen als Sonnenschutz. Auf schlanken Stahlrohren scheinbar schwebende Vor-und Rücksprünge in den Fassaden, großflächige Terrassen auch auf den Dächern. Die große Diskrepanz zwischen der Bauhaus-Architektur und ihrer Entstehungszeit wird eindringlich deutlich auf dem berühmten Foto in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung von 1928, das einen damals ultramodernen Baukubus von Le Corbusier zeigt, vor dem ein Automobil aus jener Zeit geparkt ist. Wie ein Model posiert –natürlich auf der Beifahrerseite- eine in der damaligen neuesten Mode gekleidete Frau. Da das Haus auch für unseren heutigen Geschmack noch wie ein Neubau erscheint, wirkt das Foto wie eine Montage. Es weist aber auch auf den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Bauhaus-Zielsetzung hin. Als Kunst-Elite wollte man das Leben aller verändern und verbessern, wollte mit einem gänzlich neuen Design auch für Alltagsartikel positiven Einfluss auf die Lebensumstände nehmen. Da zu jener Zeit aber noch keine Rede von industrieller Massenanfertigung sein konnte, die verwendeten Materialien durchweg hochwertig und dementsprechend teuer waren, und die zur Herstellung fachlich geeigneten Handwerker kostspielig, waren die Möbel, Lampen und auch Häuser schon damals nicht für die breite Allgemeinheit erschwinglich. Auch Gropius’ Nachfolger im Bauhaus nach dem Umzug 1925 nach Dessau, Hannes Meyer, konnte sein Credo „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ nicht in die Tat umsetzen, wozu natürlich auch die beginnende Weltwirtschaftskrise beitrug.

Das Bauhaus-Erbe

Das heute weltweit mit dem Begriff „Bauhaus“ assoziierte Gebäude ist jener von Gropius entworfene und 1926 fertig gestellte Komplex in Dessau, welcher -wie auch der Van-de-Velde-Bau in Weimar- seit 1996 zum Weltkulturerbe der Unesco gehört. Sein Schriftzug lässt noch heute alle Architekturfans, Kunstliebhaber und Designfreaks in Ehrfurcht verharren. Nicht nur die Fassadengestaltung dieser Architektur-Ikone hat Generationen von Baumeistern inspiriert. Bisher nur Sitz der Bauhaus-Stiftung, wird im September dieses Jubiläumsjahres -ebenso wie im Weimarer Gebäude- hier ein neues Bauhaus-Museum eröffnet werden. Als dritter Direktor und Nachfolger von Hannes Meyer nach dessen nur zweijähriger Amtszeit wurde ebenfalls auf Empfehlung von Gropius der in Aachen geborene Ludwig Mies van de Rohe berufen. Aber auch er hatte gegen den politischen Druck der immer stärker das Leben bestimmenden Nationalsozialisten keine Chance. Im Jahr 1932 versuchte er durch eine weitere Verlegung nach Berlin die Institution Bauhaus noch zu retten, jedoch vergeblich. Bereits ein Jahr später wurde das Bauhaus endgültig geschlossen. Die meisten ihrer inzwischen berühmten Meisterlehrer und Werkstattleiter emigrierten nacheinander in die USA, allen voran Walter Gropius und Mies van der Rohe. Andere wanderten auch ins damalige Palästina aus. Von dort aus streuten sie mit ihren nachfolgenden Entwürfen und Realisierungen die Bauhausideale über die gesamte Welt, jetzt auch unter dem Begriff „International Style“ subsummiert. Da der Begriff „Bauhaus“ oder auch „Bauhaus-Architektur“ nicht geschützt worden waren, können bis heute diese Begriffe für Alles und Jedes benutzt werden – siehe Baumarkt. Daher hat sich inzwischen in der Fachwelt der Begriff „Neues Bauen“,„Modernes Bauen“ oder kurz „Die Moderne“ für charakteristische Architekturen während der Weimarer und Dessauer Bauhauszeit durchgesetzt, zuweilen auch „Internationales Bauen“. Die Nationalsozialisten, die ab Mitte der 1920er Jahre alles, was mit dem Bauhaus irgendwie zu tun hatte, verbal in Grund und Boden gestampft hatten und seine weitere Ausbreitung mit allen Mitteln unterbinden wollten, bewirkten letztendlich mit der Schließung der Institution Bauhaus genau das Gegenteil, nämlich die weltweite Verbreitung der Ideologie Bauhaus.

Der Bauhaus-Einfluss in der Euregio

Wie bereits anfangs erwähnt, gab es auch außerhalb von Weimar und Dessau Architekten, die sich die Bauhausideen zueigen machten und bis heute modern wirkende Bauwerke schufen. In Aachen steht mit der Kirche Sankt Fronleichnam im Ostviertel nicht nur der einzige Bau in Aachen, der es in offizielle Architekturführer zum Jubiläumsjahr gebracht hat, sondern auch jener eines am Bauhausinstitut selbst gar nicht propagierten Typs, nämlich ein Sakralbau. Und sie ist zugleich sozusagen das Flaggschiff der Moderne in Aachen. Radikal neu nicht nur in der äußeren Erscheinung. Ein gänzlich schmuckloser, circa 40 Meter hoher Turm als Solitär, ebenso glatt und weiß das von ihm losgelöste Kirchenschiff. Das wird zur damaligen Zeit auch der Grund für die Verweigerung der Baugenehmigung seitens des Generalvikariats Köln und der Stadt Aachen gewesen sein. Erst auf Drängen des Kunstbeirates der Stadt Aachen konnte der Bau schließlich durchgesetzt werden. Der Architekt Rudolf Schwarz, 1897 in Straßburg geboren, arbeitete nach seinem Berliner Studium in Köln mit dem berühmten Kirchenbauer Dominicus Böhm zusammen, dem Vater des Aachener Architekturprofessors Gottfried Böhm, der in Aachen später die Kirche Sankt Hubertus, besser bekannt als „Backenzahn“, baute. Von 1927 bis 1934 leitete Schwarz die Aachener Kunstgewerbeschule. An sie berief er unter anderen seinen Kollegen Hans Schwippert als Dozent, mit dem er auch gemeinsame Projekte entworfen und realisiert hat, wie von 1928 bis 1930 eben die Fronleichnamskirche. Die gesamte Hülle wurde komplett in weiß gehalten, die ebenfalls formal sehr schlicht gehaltene Einrichtung dagegen in schwarzem Marmor. Lediglich die Fenster sollten Farbe in den Innenraum bringen, sie wurden aber zunächst nicht wie geplant ausgeführt, sondern nur provisorisch mit Normalglas. Erst 1953 wurden sie vom Aachener Glaskünstler Ludwig Schaffrath mit Weißglas nach eigenem Entwurf ausgestattet.

Ein weiteres Bauwerk der Moderne von Rudolf Schwarz in Aachen ist die ehemalige Soziale Frauenschule in Burtscheid. Sie wurde von 1929 bis 1930 ebenfalls unter Mitarbeit von Hans Schwippert realisiert. Dieser hatte nach seinem Architekturstudium in Stuttgart in Berlin auch Mies van der Rohe kennengelernt und war dann dem Ruf Schwarz’ an die Werkkunstschule Aachen gefolgt. Später erhielt er auch einen Lehrauftrag an der Rheinisch-Westfälisch-Technischen Hochschule Aachen. Die Soziale Frauenschule verfügte nicht nur über Lehrräume, sondern auch über eine Kapelle, ein Internat und sogar eine eigene Jugendherberge. Sie ist heute eine Außenstelle der Katholischen Hochschule Paderborn.

Das dritte Objekt von Rudolf Schwarz in Aachen ist das ehemalige Haus der Jugend, heute Pfarrheim der Kirchengemeinde Johannes Baptist in Burtscheid. Es wurde in den beiden Jahren 1928/29 am Rand des Ferberparks errichtet und verkörperte die Ideale der Moderne von Licht, Luft und Sonne vor allem für die Jugend. Ursprünglich wurde die Erdgeschosswand als gestaltendes, horizontales Element entlang der Straße weitergeführt und diente auch als Böschungswand. Zugleich bildete sie den Rahmen für ein vorgelagertes, um fünf Stufen vom Straßenniveau erhöhtes Eingangspodest. Leider wurden beide wichtigen Merkmale dieses Komplexes noch 2012 zugunsten einer direkt anschließenden Bebauung und längs zur Straße verlaufenden Parktaschen abgerissen.

Seitdem steht der Baukörper mit seinen neuen, viel zu üppig bemessenen Fensterprofilen als ungewollt willkürlicher, überhöhter Klotz an diesem Ort, und nicht, wie auf alten Fotos noch zu sehen, als dynamischer Riegel. Die Architektur der Moderne hat es eben immer noch schwer mit dem Denkmalschutz.

Ein weiteres Highlight der Moderne in Aachen ist die ehemalige Schirmfabrik Brauer an der Krefelder Straße. Sie wurde 1928 von den beiden Aachener Architekten Josef Bachmann und Alexander Lürken nach neuesten Kenntnissen im Bereich der Industriearchitektur errichtet. Wie oft bei dieser Zweckbestimmung wurde der Bau nicht in weißem Putz gehalten, sondern komplett mit Ziegelsteinen verkleidet, wobei der Sockel dunkelbraun, der Rest in ockergelb gehalten wurde. Reduzierte Dekorelemente in der Fassade wurden allein durch deren farblichen Wechsel gestaltet. Von 1988 bis 1991 wurde der gesamte Komplex vom Aachener Architekturprofessor Fritz Eller zum heutigen Ludwig-Forum für moderne Kunst umgebaut.

Im Aachener Süden findet sich die katholische Kirche Heilig Geist. Für ihre Realisierung in den Jahren 1929/30 war ein Wettbewerb unter dem Juryvorsitzenden Dominicus Böhm ausgelobt worden. Den zweiten Platz belegten damals die beiden Architekten Rudolf Schwarz und Hans Schwippert, den ersten jedoch Otto Bongartz, der in Aachen an der RWTH studiert und dann im öffentlichen Bauwesen gearbeitet hatte. 1925 ging er an das Hochbauamt Köln, dessen Leiter er ab 1935 wurde. Die monumentale Freitreppe vor dem Haupteingang verstärkte optisch noch die Hanglage und ließ den Turm noch imposanter erscheinen. Im Innern waren auch hier bunte Glasfenster vorgesehen, die wie in der Fronleichnamskirche jedoch zunächst ebenfalls nicht verwirklicht, 1935 dann aber nach den Originalentwürfen „nachgereicht“ wurden. Ebenfalls im Aachener Süden neben der Lütticher Straße gelegen befindet sich die Kapelle Sankt Maria Geburt, kurz „Maria im Tann“ genannt. 1930 eingeweiht diente sie für Gottesdienste der 1916 errichteten Kindererholungsstätte. Diese wiederum war auch bekannt als Talbotheim, da sie auf Initiative und durch das Vermächtnis einer Stiftung von Clémence Talbot, geborene Piedboeuf, der Frau des Aachener Waggonfabrikanten Carl Gustav Talbot, für erholungsbedürftige Kinder von Arbeitern errichtet worden war. Beides war eingebunden in den 1909 eröffneten Komplex einer Lungenheilstätte für Männer und Frauen aufgrund der vermehrt auftretenden Tuberkulose-Krankheit infolge von Industrie und Bergbau. Entworfen wurde Maria im Tann vom Aachener Stadtbaurat Philipp Kerz.

Eine andere Kapelle, nämlich die Aussegnungshalle des Waldfriedhof Aachen, datiert aus dem Jahr 1933. Der Friedhof war in den 1830er Jahren weit außerhalb der Stadt für die damals zahlreichen Choleraopfer angelegt worden. Nach dem Ersten Weltkrieg um einen Ehrenfriedhof für Kriegsopfer inklusive eines kleinen jüdischen Friedhofs erstmalig erweitert, wurde ab 1930 ein großes Waldareal als Begräbnisstätte für die allgemeine Bevölkerung hinzugefügt. Architekt der Aussegnungshalle war ebenfalls Philipp Kerz. Neben dem Aachener Hauptbahnhof findet sich ein baulicher Zeuge jener Zeit, der schon unter mehreren Namen geführt wurde. Heute bekannt als das „Hochhaus mit Wettersäule“ hieß es zunächst Lochner Haus, später Haus Grenzwacht. Da die Stadt Aachen die Bebauung des exponierten Grundstückes seinerzeit allein nicht stemmen konnte, übernahm Rudolf Lochner, der Enkel des Aachener Tuchfabrikanten Johann Friedrich Lochner, als Privatinvestor die Aufgabe und übertrug die Planung dem Düsseldorfer Architekten Emil Fahrenkamp. 1925 wurde das damals revolutionäre Stahlskelett fertiggestellt, aber auch Lochner geriet in finanzielle Schieflage. Erst 1930 wurde der Bau nach Überarbeitung durch den Architekten Jacob Koerfer von der Firma Hochtief im Auftrag der Stadt Aachen fertiggestellt, allerdings in zur Originalplanung stark abgewandelter Form. Leider gar nicht mehr zu betrachten ist das Albert-Servais Haus des alten Aachener Klinikums an der Goethestraße. Ehemals als städtisches Krankenhaus mit mehreren Häusern im Pavillonstil für einzelne Abteilungen zwischen 1900 und 1914 auf einem weitläufigen Areal gebaut, erfuhr es mit dem neuen als Terrassenklinik ausgeführten Haus ein imposantes Erscheinungsbild. Von 1932 bis 1934 wurde es nach Plänen des Architekten von Lammerz mit nach Süden ausgerichteten Balkonbändern und Terrassen zur Licht- und Lufttherapie der Patienten erbaut. Den Namen erhielt es nach dem ehemaligen Ersten Beigeordneten der Stadt Aachen und Reichstagsmitglied Albert Servais. Dieser war zugleich Direktor des Krankenkassenverbandes Rheinprovinz und ab 1933 Vorsitzender der neu gegründeten Aachener Kur- und Badegesellschaft. Der imposante Mittelteil mit dem Haupteingang hätte auch gut einer großen Versicherung angestanden, jedoch wurde auch er zugunsten eines beliebigen Bürokomplexes 1985 noch abgerissen. Ein Industriedenkmal aus jener Zeit ist auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofes im Aachener Westen der Uhrenturm mit der Fleischabholhalle. Sie wurde im Zuge der letzten großen Erweiterung von 1926 bis 1930 nach Plänen des Aachener Stadtbaurates Kirchbauer errichtet. Große Stahlbeton-Bogenbinder als Hallendach ermöglichten ein wetterunabhängiges Beladen der Fleischtransporter. Der Turm selbst mit seinen dreiseitig ausgerichteten Uhren, bestehend aus kupfernen Zifferntellern und Zeigern, hat relativ wenig Eigennutzung. Das üppig bemessene Treppenhaus lässt aber auf einen ursprünglich für die Zukunft noch geplanten weiteren Hallenanbau schließen. Bezüglich des öffentlichen Wohnungs- und des privaten Hausbaus sind immer noch einige Exemplare aus den Jahren 1919 bis 1933 im Aachener Stadtbild vorhanden, wenn auch zum Teil –der Botanik sei Dank- inzwischen gut versteckt. Die Siedlung Panneschopp im Ostviertel wurde auf dem Gelände einer ehemaligen Ziegelei durch die Aachener Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft errichtet. Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte eine große Wohnungsnot, auch weil viele Aussiedler aus den jetzt zu Belgien gehörenden Gebieten Eupen und Malmedy nach Aachen kamen. Es wurde daher dringend Wohnraum benötigt, ebenso für die vielen Arbeiter in den Fabriken im Ostviertel und die Angehörigen der Belgischen Armee, die nun in der ehemaligen deutschen Kaserne im jetzigen Kennedypark untergebracht war. Für damalige Verhältnisse waren die Wohnungen geradezu luxuriös: Eigenes WC und Bad, elektrisches Licht, mehrere Zimmer, Balkon oder Terrasse und große, begrünte Außenflächen, zwischen denen die Gebäuderiegel locker gruppiert waren. Auf dem Sektor des privaten Wohnungsbaus gibt es noch wahre Juwelen auf Aachener Stadtgebiet. Gleich mehrere Häuser des Architekten Hans Königs finden sich im Gebiet Pippinstraße/Clodwigstraße. Teils als Doppelhäuser, teils einzeln stehend geben sie den kleinen Straßen ein geschlossenes, aber individuelles Gesicht. Königs, Sohn eines Aachener Bauunternehmers, hatte auch in Aachen studiert und war dann als Partner in die väterliche Firma eingestiegen. Nebenbei war er passionierter Maler und machte sich später einen Ruf als Stadtkonservator und Experte für Baudenkmäler und Restaurierungen. Am Preusweg liegen inzwischen versteckt hinter Bäumen ebenfalls gleich mehrere kleine Objekte aus dem Jahr 1933, die wieder optisch eine Einheit bilden und viele Merkmale der Moderne in reduziertem Maßstab aufgreifen. Wahre Perlen des Neuen Bauens auf privatem Sektor in Aachen stehen am Ronheider Weg und am Hasselholzer Weg. Letzteres ist vom 1886 geborenen Künstler Engelbert Mainzer gebaut worden. Dieser hatte an den Kunstakademien Berlin und Düsseldorf studiert, war 1910 als Zeichenlehrer an das Realgymnasium Aachen gekommen und machte sich einen großen Namen als Maler des Rheinischen Expressionismus. Im benachbarten niederländischen Heerlen hat der Architekt F.P.J. Peutz gleich zwei sehr unterschiedliche Beispiele der Moderne verwirklicht. 1896 geboren war er als Schüler in das Internat Rolduc nach Kerkrade gekommen, hatte danach in Delft Ingenieurwissenschaften studiert und sich dann als Architekt niedergelassen. Neben den beiden erwähnten Objekten schuf er in Heerlen unter anderen auch zwischen 1933 und 1936 das berühmte Kaufhaus Schunck, heute als „Glaspaleis“ noch zu besichtigen, von 1936 bis 1942 das Rathaus und 1959 die Stadtschouwburg. In Maastricht zeichnete er für viele Schulbauten verantwortlich. Das kombinierte Büro-/Wohnhaus HUIS OP DE LINDE schuf er 1931 zunächst für sich selbst. Mit seinem großzügig verglasten Treppenhaus zwischen zwei Baukörpern sieht es aus wie die Miniaturausgabe einer Bauhaus-Akademie. Ganz anders das voluminöse Retraitehaus, erbaut auf dem Molenberg zwischen 1932 und 1934. Der gewaltige Komplex besaß an beiden Gebäudeenden jeweils eine Kapelle und diente als Erholungsheim für Frauen und Mädchen, später auch als Universität für Theologie und Pastorat als „Monseigneur Laurentius Schrijnen Huis“, benannt nach einem Roermonder Bischoff. Auf belgischer Seite ist zum einen ein ehemaliges Ausflugsrestaurant in Hergenrath aus den 1930er Jahren zu nennen, das jetzt als Privatvilla genutzt wird, und das Wetzlarbad von 1932 in Eupen. Da dieses gegen großen Protest der Eupener Bevölkerung für eine neue „Schwimmbox“ noch 2016 komplett abgerissen worden ist, sind beide Objekte leider nicht mehr zugänglich. Der Stifter Robert Wetzlar hatte sich in die Eupener Tuchindustrie eingeheiratet und noch vor seinem Tod 1912 durch Wertpapiere und der Grundstücksübertragung an die Stadt Eupen die Grundlage für das Freibad entlang der Hill geschaffen. Der Durchsetzungskraft seiner Witwe ist der endgültige Bau mit seinem markanten Schriftzug über dem Eingang zu verdanken. Aber auch er wurde nicht gerettet. Abschließend ist anzumerken, dass für die Erhaltung der Bauhaus-Objekte in Weimar und Dessau viel geleistet worden ist und wohl auch weiter geleistet werden wird. Auch für die Bauten der allseits bekannten „Lichtgestalten“ des Bauhauses wie Gropius und Mies van der Rohe zum Beispiel besteht keine Gefahr von unsachgemäßen „Renovierungen“ oder gar Abriss. Aber all die ebenso bemerkenswerten Gebäude aus jener Zeit von nicht so berühmten Architekten laufen immer noch Gefahr, durch Unwissenheit oder Ignoranz zerstört zu werden, und sei es nur durch An- und Umbauten in irgendeinem modischen Zeitgeist. Hier ist noch viel Aufklärung nötig. Bleibt zu hoffen, dass bei möglichen Veräußerungen derlei architektonisch wertvolle Objekte in sachkundige Liebhaberhände gelangen und somit der Nachwelt erhalten bleiben.

TEXT: Rainer Güntermann
FOTOS: Rainer Güntermann, Mercedes-Benz Classic, ©Bauhaus-Archiv Berlin, ©Bauhaus-Archiv Berlin, © Knoll International, ©Michael von Graffenried Bauhaus-Archiv Berlin, Sankt Fronleichnam |  Dr. Holger A. Dux

 

ALLES MUSS RAUS | DIE GARTENSAISON KANN BEGINNEN

Ja mei, ist denn schon wieder Frühjahr? Ja, auch wenn es draußen vielleicht noch nicht so aussieht. Jedenfalls was das Wetter betrifft. Die Natur jedenfalls ist schon viel weiter als in den letzten Jahren. Diesen März sind bereits viele Sträucher schon in Blüte, die sonst erst viel später an der Reihe wären. Auch die Tatsache, dass einige Zugvögel gar nicht mehr den beschwerlichen Weg in den Süden antreten oder zumindest nicht mehr so weit gen Süden fliegen und sie Ende Februar bereits wieder zurückkamen, lässt unzweifelhaft erahnen, dass der Frühling nicht nur kalendarisch da ist. Und mit ihm wie jedes Jahr der direkte Wunsch, bei den ersten wärmenden Sonnenstrahlen zumindest schon mal einen Stuhl vor die Tür zu stellen. Wenn’s denn etwas mehr an Möbel für draußen sein soll: Wir hätten da was für Sie.

Die Geschichte der Gartenmöbel ist noch relativ jung. Zwar gab es schon lange feststehende Bänke in Parkanlagen und auch in großen Privatgärten. Bewegliche Möbel, die flexibel am jeweils gewünschten Ort einsetzbar waren, kamen jedoch erst Anfang des 19. Jahrhunderts auf, zum Beispiel in Biergärten und Gartencafés. Aber erst mit der Reiselust der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg und deren Erfahrung im Süden von täglichem Leben unter freiem Himmel während des Sommers, begann der Siegeszug der Gartenmöbel in die Gärten und auf die Terrassen und Balkone der deutschen Haushalte. Seitdem ist ihr Marktsegment immer größer geworden, wozu auch die heutige Materialvielfalt und die immer wärmeren, früher beginnenden und länger dauernden sommerlichen Tage beitragen. Die Übergänge zwischen drinnen und draußen sind inzwischen fließend. Sitzlandschaften, fest installierte Küchenzeilen und Kaminwände schaffen die Illusion des Wohnens unter freiem Himmel. Bezüglich der Materialien ist auch für den Outdoor-Bereich nahezu jeder Einrichtungsstil möglich. Der Klassiker Holz mit witterungs­- schützenden Lasuren oder Lackierungen muss nicht rustikal und schwer daherkommen. In Verbindung mit rostfreien Aluminium-Hohlprofilen wirkt er nicht nur leicht, sondern ist es auch. Modern in der Formgebung sind derartige Möbel zeitlos und somit auch kompatibel zu nahezu allen sonstigen Stilen. Das gleiche gilt für die Kombination Holz mit Edelstahl. Diese Variante ist zwar edler in der Optik, aber auch zugleich schwerer und teurer. Wichtig sind in beiden Fällen mit Holz bedeckte Armlehnen, da es sonst bei vorheriger Sonneneinstrahlung regelrecht zu Verbrennungen an den Unterarmen kommen kann. Dies ist auch bei der Wahl des Materials der Tischplatte durchaus von Bedeutung. Beim Kauf von reinen Holzmöbeln gibt es gewaltige Unterschiede in Qualität und Preis. Letzterer ist aber oft auch ein Hinweis auf die Herkunft, Verarbeitung und Haltbarkeit des Holzes. Nach wie vor beliebt sind Tropenhölzer, die inzwischen aber aus zertifizierten Plantagen kommen, oder besser gesagt, kommen sollten. Um in unserem Klima zu bestehen, müssen Gartenmöbel aber nicht aus diesem Hartholz mit zuweilen unklarer „Vita“ gefertigt sein. Heimische Hölzer wie Robinie/Akazie, Buche, Eiche, Esche, Elsbeere, Ahorn oder auch Walnuss sind bei regelmäßiger Pflege mit Ölen oder Lasuren durchaus auch als wetterfest anzusehen.

 

Kunststoff-Gartenmöbel sind zwar in der Regel kostengünstig, aber nicht unbedingt preis-wert. Da ist zum einen der Umweltaspekt, der sowohl bei der Herstellung als auch bei der Entsorgung negativ zu Buche schlägt. Zum anderen werden diese Möbel durch den ständigen Witterungswechsel relativ schnell spröde und bleichen aus. Dass man nach jedem größeren Windstoß alle Teile einer Sitzgruppe wieder zusammensammeln muss, macht diese Materialwahl auch nicht unbedingt empfehlenswert. Eine Alternative dazu ist seit einigen Jahren unter dem Materialnamen Trespa auf dem Markt. Diese Hochdruck-Schichtpressstoffplatten bestehen im Innern aus hochverdichteten Holzfasern, die beidseitig mit wasserresistentem, witterungsbeständigen und lichtechtem Kunststoff beschichtet sind. Durch die extreme Innenverdichtung sind die Platten formstabil, die Schnittkanten sauber und Schraubverbindungen stabil. Neben unifarbenen Platten gibt es inzwischen auch vielerlei Dekore und Muster im Handel. Dort gibt es fertige Möbel aus Trespa, aber viele Handwerker verstehen sich auf das Material und können individuelle Möbel auf Maß herstellen.

Seit Jahrzehnten nie ganz aus der Mode gekommen sind geflochtene Möbel aus Rattan. Ihre Optik spielt mit der Assoziation an den Süden, an Sonne und Strand. Nach einem Regenschauer sind sie am schnellsten wieder trocken, sie wirken leicht und luftig, sind in der Formgebung meist rundlich und daher haptisch sehr angenehm. Da der Wind keine glatte und geschlossene Angriffsfläche hat, sind sie trotz ihrer Leichtigkeit nicht ganz so windanfällig. Im Winter jedoch ist es ratsam, diese Art von Gartenmöbel auf jeden Fall witterungsgeschützt unterzubringen. Eine neuere Art von Flechtmöbeln sind jene aus Polyrattan. Wie der Name schon sagt, ist hier wieder Kunststoff im Spiel. Im Gegensatz zu ihrem natürlichen Pendant, welches seine Stabilität aus dem Material selbst bekommt, wird hier das Kunststoffgeflecht um ein Draht- oder Eisengerüst angebracht. Daher können auch rechtwinkligere, sprich kantigere Formen erreicht werden. Viele der neuen Sitzlandschaften aus einzelnen kubistischen Elementen sind aus diesem Material hergestellt und haben wetterfeste Auflagen, die wiederum natürliche Stoffe nachahmen. Die Oberflächen sind in der Struktur dichter gewoben als bei den Rattanmöbeln und somit windanfälliger, durch das metallene Trägermaterial sind sie aber auch schwerer und somit standfester.

Ein Material für Outdoor-Möbel, was im Zuge der Nachhaltigkeits-Debatte wieder in aller Munde ist, ist das Lloyd-Loom-Geflecht, benannt nach seinem Erfinder Marshall Burns Lloyd. Dieser hatte sich 1917 ein Verfahren patentieren lassen, bei dem robustes Papier extrem dicht um einen Metalldraht gedreht wird. Somit entsteht ein zugfester Zwirn, der dann an mechanischen Webstühlen (engl. Looms) zu Flechtmatten weiterverarbeitet wird. Durch das Aufspannen auf schlanke und zum Teil gebogene Holzgestelle entstanden außergewöhnliche Sitzmöbel, aber auch Tische, Kleinmöbel und Kinderwagen. Durch eine anschließende Lackierung wetterfest gemacht waren diese Möbel relativ leicht, aber stabil, witterungsbeständig, schneller und günstiger herzustellen als handwerkliche Möbel zu jener Zeit, farblich individuell und in kurzer Zeit sehr beliebt. Ihren großen Durchbruch erlangten sie durch ihren Einsatz auf Passagierdampfern und in Zeppelinen. Die heute noch populäre Sesselform mit dem rundum bis zum Boden gehendem Geflecht war eigens für ihren Einsatz als Schiffsdeckmöbel konzipiert worden, um beim Sitzen auch an den Beinen windgeschützt zu sein. Ihre heutigen Nachfolger sind vergleichsweise hochpreisig, jedoch äußerst bequem, optisch und haptisch schmeichelhaft, durch neu entwickelte Lackierungen sehr witterungsfest und eben dazu auch wesentlich nachhaltiger als Kunststoffgeflechte.

Zur Zeit sehr in Mode gekommen sind Gartenmöbel aus Metall, die durch farbige Pulverbeschichtungen zu jeder Farblaune passen. Mit ihnen können optische Statements gesetzt werden, entweder als Kontrast zu monochrom weiß blühenden Gärten oder als Steigerung einer bunten Vielfalt. Durch ihre Oberflächenbehandlung sind sie – soweit unbeschädigt – ebenso rostfrei und damit witterungsresistent wie ihre Kollegen aus Aluminium oder Edelstahl. Aber auch hier gilt Vorsicht bei zu intensiver Sonneneinstrahlung. Dann können sie leicht zu Brenneisen werden, daher sind Polsterauflagen eigentlich unvermeidlich. Neuerdings gibt es auch sogenannte Beton-Möbel. Meistens handelt es sich aber nicht um massiven Beton, da dieser naturgemäß „ortsgebunden“ und nicht flexibel einsetzbar ist, sondern um Fiberzement. In der Optik kaum von schwerem, gegossenen Beton zu unterscheiden, ist dieses Gemisch aus Zement, gemahlenen Steinen und Bambusfasern jedoch wesentlich leichter – wenngleich immer noch nicht leicht verrückbar -, aber ebenso wetterfest, robust und relativ frei in der Form gießbar. An Plätzen mit eindeutiger Nutzungsbestimmung bilden sie im wahren Wortsinn Standpunkte, die bei entsprechender Materialwahl des Bodenbelages quasi aus diesem herauszuwachsen scheinen. Leider halten sie nach einem Regenschauer länger die Feuchtigkeit, was man aber durch wetterfeste Auflagen wieder wettmachen kann. Bei aller Formen- und Materialvielfalt ist es oft schwierig, die richtige Wahl bei der Gartenmöblierung zu treffen, zumal sie auch durchaus kostenintensiv sein kann. Ein gelungener Übergang von innen nach außen lässt im Sommer wirklich das Gefühl von einer erweiterten Wohnfläche in der offenen Natur entstehen. Dabei sollte man sich aber auch vor Augen führen, dass Natur eben auch natürlich ist und auch so aussehen darf. Ein allzu geometrisch eingezwängtes und vielleicht dazu noch monochromes Pflanzkonzept und eine sterile Fläche mit ebensolcher Möblierung bedeuten nicht gleich Ruhe, Entspannung und Wohlbefinden. Die Seele baumelt auch gern mal in willkürlicher und ungezwungener Natur.

TEXT: Rainer Güntermann

FOTOS: www.garpa.de, www.varaschin.it, www.varaschin.it, www.lloyd-loom.com, www.gloster.com, Fermob, www.garpa.de, www.vincentsheppard.com, www.lambert-home.de

WENN DIE NEUWERTSPITZE VOM KLEINGEDRUCKTEN GEKAPPT WIRD

Achim Delheid

Ein Gebäude geht in Flammen auf und brennt bis auf seine Grundmauern nieder. Das allein ist schon ärgerlich genug. Wer allerdings gut versichert ist, sollte keine großen Probleme sehen. Gebäude sind regelmäßig schließlich so versichert, dass gewährleistet sein soll, dass sie komplett neu errichtet werden können. Im Idealfall kann ein Gebäude auch dann neu errichtet werden, wenn diese Wiederherstellung deutlich teurer ist, als noch bei Abschluss des Versicherungsvertrags. Man spricht hier von einer gleitenden Neuwertversicherung.

Das System als solches ist auf den ersten Blick einfach. Der Versicherte erhält zunächst den Zeitwert des Gebäudes. Lässt er danach das Gebäude neu errichten, erhält er den Restbetrag, um das Geübte neu zu errichten. Das ist die sogenannte Neuwertspitze.

Doppelt ärgerlich ist, wenn man ein neues Gebäude errichtet hat und die Zahlung ausbleibt. Nach dem neuesten Beschluss des Oberlandesgerichtes München vom 19.10.2018 (Az. 14 U 1739/18) ist dies aber sogar in manchen Fällen rechtlich richtig. Doch dass das so ist ergibt sich wie sooft aus dem „Kleingeruckten.“ Dort in den den Versicherungsbedingungen ist nicht etwa überflüssig Kleines geregelt, sondern alles Wichtige.

Eine Wiederherstellung bzw. eine neue Errichtung eines Gebäudes ist eben nicht immer eine neue Errichtung im Sinne der Neuwertversicherung. Eine Neuwertversicherung verfolgt den Zweck, den Schaden auszugleichen, der dem Versicherungsnehmer dadurch entsteht, dass er einen höheren Betrag als den Zeitwert aufwenden muss, möchte er das zerstörte Gebäude wiederherstellen. Man unterscheidet zwischen dem Zeitwert und dem Neuwert eines Gebäudes. So kann ein Gebäude noch einen geringen Zeitwert von 5.000,00 Euro haben, seine Wiederherstellung umfasst aber einen Betrag von 40.000,00 Euro oder mehr.

Diesen Neuwert bekommt aber nur derjenige Versicherungsnehmer erstattet, der ein zu dem zerstörten Gebäude wesensgleiches Gebäude wieder neu errichtet. Das ist der Knackpunkt der Sache und der Grund, aus dem in manchen Fällen die Wiederherstellungskosten durch den Versicherer nicht erstattet werden.

In obigen Fall des OLG München war es z.B. so, dass der Versicherte dort, wo ein Schuppen niederbrannte, mehrere Garagen errichtete.

Sicherlich sind die Garagen neu errichtete Gebäude.

Der Senat des OLG München entschied aber, dass Garagen im Vergleich zu einem Schuppen aber nicht wesensgleich sind.

Wann Gebäude wesensgleich sind, richtet sich danach, welchem Zweck sie dienen. Man versucht das immer aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers zu sehen.

Danach dient ein Schuppen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zum Unterstellen von Geräten, während eine Garage zum Einstellen von PKW dienen soll. Ändert sich die Zweckbestimmung eines Gebäudes, ändert sich das Wesen des Gebäudes.

Die Vorinstanz hatte sich sogar die Mühe gemacht durch einen Sachverständigen zu prüfen, ob der Schuppen theoretisch als Garage nutzbar war. Das war er aber aufgrund der Raumaufteilung nicht.

Nach dem Sinn und Zweck der Regelung konnte der Versicherte daher nicht verlangen den Neuwert erstattet zu bekommen.

Sinn und Zweck dieser Regelung ist es übrigens, den Anreiz möglichst gering zu halten, einen Versicherungsfall vorzutäuschen, um danach ungerechtfertigt, auf Kosten des Versicherers, ein höherwertiges Gebäude und somit einen Vermögensvorteil zu erhalten.

Möchte man von den Vorteilen einer Neuwertversicherung profitieren, ist es also wichtig zu berücksichtigen, dass die Wiederherstellungskosten für eine Neuerrichtung eines Gebäudes nur erstattet werden, wenn das neue und das zerstörte Gebäude in ihrem Wesen gleich sind. Das ist regelmäßig der Fall, wenn die beiden Gebäude dieselbe Zweckbestimmung und dieselbe Möglichkeit zur Nutzung haben. Sollten über eine Wesensgleichheit Zweifel bestehen, ist es ratsam, sich zuvor rechtlich darüber zu informieren. Andernfalls läuft der Versicherungsnehmer Gefahr, dass er die (oftmals sehr hohen) Wiederherstellungskosten selbst tragen muss. An der Entscheidung wir durchaus berechtigte Kritik geübt. Die Entscheidung fiel streng formalistisch. Der erklärte Schutzzweck war nämlich gar nicht gefährdet. Die Garagen kosteten nicht mehr als die Neuerrichtung eines wesensgleichen Schuppens.

 

TEXT: Achim Delheid | Fachanwalt für Verkehrs- und Versicherungsrecht